Zum Gedenken an Heinrich Böll, der am 21. Dezember 100 Jahre geworden wäre.
Böll hat ohne Zweifel nachhaltig unser Nachkriegsdeutschland geprägt. Er hat geschrieben und gewirkt – und sich in diesem noch immer an den Folgen des Krieges leidenden Deutschland im sprichwörtlichen Sinne abgearbeitet – er hat sich eingesetzt und engagiert.
Böll also....
Er wurde in Köln geboren, das im Krieg nachhaltig von alliierten Luftanschlägen getroffen wurde. Mit seiner zurechtgestutzten und zum Teil merkwürdig wieder aufgebauten Architektur erinnert die Stadt tatsächlich ein wenig an Sarajevo. Und eben hier, in dieser Stadt mit ihrem ganz eigenen Charme und Traditionen, wurde Böll geprägt.
Böll seinerseits hat ohne Zweifel nachhaltig unser Nachkriegsdeutschland geprägt. Er hat geschrieben und gewirkt – und sich in diesem noch immer an den Folgen des Krieges leidenden Deutschland im sprichwörtlichen Sinne abgearbeitet – er hat sich eingesetzt und engagiert.
Dafür – und auch daran gedenken wir dieser Tage– bekam er 1972 den Nobelpreis für Literatur, eine Auszeichnung, die zeigt, welche Kraft seine Texte und Bücher damals besaßen - und noch immer besitzen.
Böll war immer ein moralisches Korrektiv – ohne moralinsauer zu sein.
Er war kritisch - den Mächtigen gegenüber, dem System der Macht. Und er war kritisch gegenüber dem Vergessen der kleinen Leute.
Seine Erzählung „Das Brot der frühen Jahre“ ist eine, die auch hier in Bosnien und Herzegowina geschrieben werden könnte: Das Brot der frühen Jahre, das hier vielen Leuten und ihren Familien 22 Jahre nach dem Krieg immer noch fehlt... Böll ging es darum, diesen einfachen Menschen eine Bühne zu bieten.
Böll hat immer versucht, jenen eine Stimme zu verleihen, die sonst nicht zu hören sind.
Den Marginalisierten, den Schwachen.
Eine seiner Erzählungen heißt: Ansichten eines Clowns...
Ein Clown also als Protagonist, einer, der nicht im Zentrum steht, der im Grunde eine seltsame Randfigur ist.
Oder Katharina Blum, die von der Skandalpresse erdrückt wurde, die darauf hin versuchte, sich zu wehren. In dieser Geschichte, die in deutschen Schulen zur Pflichtlektüre gehört, versuchte Böll zu erklären, wie und warum Gewalt entsteht. Ein Thema, das aktueller nicht sein könnte.
Immer wieder hat man das Gefühl, dass diese Figuren, die Böll kreirt, die mitunter so ungelenk daherkommen, die nicht das Abziehbild von Erfolg, Macht und Reichtum sind – dass eigentlich sie es sind, die mehr Mut, mehr Anstand, besitzen, mehr Stolz und Würde, als die Großen da oben, die, das Treiben bestimmen und – leider, wie wir wissen - nicht immer nur zum Guten lenken.
Böll ist jemand, der - auch wenn er keiner dieser hippen Autoren der Moderne ist - nach wie vor eben doch eines ist: sehr modern.
Mit seiner hinterfragenden Grundhaltung, vor allem aber mit seinen Themen.
Denn am Ende geht es Böll immer nur um eins: Um das Individuum, um den Einzelnen. Den Menschen mit all seinen Nöten, Sorgen, in seiner Einsamkeit, wenn er Schutz benötigt, wenn er am Ende ist.
Mensch sein.
Das ist die erste und für Böll wichtigste Kategorie.
Für ihn etwas, was in einer Gesellschaft fundamental ist.
In Bosnien und Herzegowina erleben wir auf Tagesbasis, dass der Mensch hier wenig zählt, statt dessen werden Kategorien erfunden und zementiert: Der Mensch wird auf diese Weise in Schubladen gestopft, es gibt drei dieser Haupt-Schubladen – und dann gibt es noch die ostali, die Anderen.
Es ist ein kollektiver Gedanke, der alles überdeckt und verkleistert. Der ablenken soll. Und teilt.
Der Mensch wird auf diese Weise abgeschafft – und leider mit ihm auch die Menschlichkeit. Wohin das führt, hat der Krieg anschaulich gezeigt.
In Deutschland, genau so wie in Bosnien und Herzegowina.
Die Abschaffung von Menschlichkeit – wie sehr dies immer noch die politische Szenerie dominiert, haben wir jüngst erlebt, als ein Gericht Recht sprach, um der Gerechtigkeit Bahn zu brechen. Da wurden auf einmal für die Täter Gedenkminuten eingelegt, Kerzen angezündet - die Opfer aber vergessen, so scheint es.
Der Mensch, das Opfer – diese grundlegende Kategorie kommt in der Gedankenwelt Einiger gar nicht mehr vor.
Dass der Mensch vor dem Kollektiv kommt – diese Lektion musste Deutschland auch erst lernen. Und ohne diese Lektion, ohne das Erkennen, dass es der Mensch ist, das Individuum mit seinen Rechten und seinem nicht zu verhandelnden, absoluten Schutzanspruch – ohne diese Lektion wäre Deutschland wohl nicht da, wo es heute steht.
Heute ist Deutschland eine Demokratie, die allen, egal welchen Geschlechts, welcher Herkunft, so das formulierte Ideal, den gleichen Schutz bietet. Nach einer Zeit, in der Menschen verfolgt und getötet wurden, weil die Kategorie - in dem Falle Jude/Nicht-Jude - wichtiger galt als der Mensch.
Diese Lektion war für Deutschland fundamental:
„Die Würde des Menschen ist unantastbar. Sie zu achten und zu schützen ist Verpflichtung aller staatlichen Gewalt.“
So lautet der erste Artikel unseres Grundgesetzes.
Es ist ein wichtiger und ein schöner Auftrag. Am Anfang steht der Mensch. Keine Kategorie, kein Kollektiv, keine Schublade.
Für all das hat sich Böll eingesetzt, mit Wortgewalt und dennoch auch mit leisen Texten, die aber an Klarheit nicht zu übertreffen sind.
In diesem Sinne möchte ich zum Schluss noch ein Zitat, sozusagen das Lieblingszitat unserer Stiftung nennen, weil es die Gedankenwelt von diesem herausragenden Schriftsteller so trefflich zusammenfasst:
„Einmischung ist die beste Möglichkeit, realistisch zu bleiben.“
„Umjesati se, to je najbolja mogucnost da ostane realistican.“
Einmischung also, damit Menschen Menschen sein können.
Das ist es auch, wofür unsere Stiftung eintritt. Für Menschen und ihre Rechte, für Gleichheit und Partizipationsmöglichkeiten in einer liberalen, offenen Gesellschaft. Nicht nur in Bosnien und Herzegowina, sondern in 60 Ländern weltweit.