Protese in Banja Luka

Chronologie der Einschränkung der Handlungsspielräume für Nichtregierungsorganisationen in der Republika Srpska

Das Recht auf öffentliche Versammlung und freie Meinungsäußerung ist einer der grundlegenden Indikatoren für eine demokratische  Gesellschaft. Wenn alle anderen Methoden ausgeschöpft sind (Treffen und Verhandlungen mit Beamten, Verfassen von Einsprüchen, Gerichtsverfahren), was bleibt ihnen dann noch, als auf die Straße zu gehen und zumindest so auf ihre Probleme aufmerksam zu machen? In den letzten drei Jahren sind die Trends in der RS offensichtlich, mit denen man den Bürger/innen ihr Recht auf öffentliches Versammeln und freie Meinungsäußerung verwehren will.

In diesem Text wenden wir uns drei Ereignissen zu, die auf den ersten Blick unabhängig voneinander sind, jedoch als der Beginn von etwas, was wir heute Einschränkung der Handlungsspielräume für Nichtregierungsorganisationen in der Republika Srpska (RS), bezeichnen können.   

 

Das erste Ereignis begann im Mai 2012. In diesem Frühjahr gingen mehrere Hundert Bürger/innen Banja Lukas auf die Straße, um mit friedlichen Spaziergängen gegen die Zerstörung der Parks im Stadtzentrum, dem „Picin Park“, zu protestieren. Die Bürger/innen verlangten von der Stadt- und Entitätsverwaltung, die Zerstörung des Parks und den Bau eines Geschäftsgebäudes auf dieser Grünanlage solange zu stoppen, bis die gesamte Dokumentation im Bezug auf den Regulierungsplan, Kaufvertrag und der Baugenehmigung für die Firma „Grand Trade“ veröffentlicht werde. Bis heute ist die komplette Dokumentation über den Verkauf dieser Grünfläche im Zentrum der Stadt, auf der ein mehrstöckiges Geschäftsgebäude entstanden ist, nicht veröffentlicht worden. In der Zwischenzeit wurde der Besitzer der Firma „Grand Trade“, Mile Radišić, der angeblich im patenschaftlichen Verhältnis zum Präsidenten der RS, Milorad Dodik steht, rechtskräftig zu drei Jahren Haft wegen Aktien-Betrugs bei der „Medicinska elektronika“ aus Banja Luka verurteilt. Radišić flüchtete nach Serbien, tauchte aber im November 2015 in der Haftanstalt Tunjic auf, um seine Haft anzutreten.

Die Versammlungen und Protest-Spaziergänge der Bürger/innen dauerten Monate. Man hatte sich für Spaziergänge als Ausdruck des politischen Kampfes und des Widerstands gegen die Eigenmächtigkeit der Politiker/innen, den Nepotismus, die Kriminalität, den Ausverkauf öffentlichen Raums und der arroganten Haltung der Regierung gegenüber den wirtschaftlichen, sozialen und ökologischen Bedürfnissen und Rechten der Bürger/innen entschieden. Die Spaziergänge waren Symbol für den Kampf der Bürger/innen für das Recht auf freie Meinungsäußerung, jederzeit und an jedem Ort, ohne Angst und öffentlich.[1]

Ein absolutes Novum für die Regierung und das, was den Protest-Spaziergängen eine völlig neue Dimension verlieh, war die Tatsache, dass die Proteste keine Führung hatten, nicht von irgend einem Zentrum aus organisiert wurden, kein Partei-Etikett trugen und bei ihrer Organisation die sozialen Netzwerke, vor allem aber Facebook eine Schlüsselrolle spielten!

Dies war Anlass für das initiieren von Gesetzesinterventionen seitens der Regierung, mit dem  Ziel, derartige massenhafte und kontinuierliche Versammlungen und öffentliche Bekundungen der Unzufriedenheit der Bürger/innen zu unterbinden.

 

Den Park gibt es nicht mehr und in das neu entstandene Gebäude hat sich die Telekommunikationsfirma m:tel  eingemietet.

 

Die Initiative „Der Park gehört uns“ hat diese Entscheidung von m:tel, respektive der Telecom Serbien, als „schändliche Unterstützung der Kriminalität, die die Gesellschaft der RS und BiH zerstört“ kritisiert. Im Februar dieses Jahres informierte die Initiative das Parlament Serbiens und den serbischen Regierungschef über den ganzen Fall[2].

 

NGOs auf der schwarzen Liste

 

Das zweite Ereignis bezüglich der Einschränkung der Handlungsspielräume für Nichtregierungsorganisationen in der Republika Srpska spielte sich im Februar 2014 ab, als auf der offiziellen Webseite des Bündnisses der Sozialdemokraten, der regierenden Partei der RS, eine Publikation mit dem Titel „Zerstörung der Republika Srpska – Theorie und Technologie des Umbruchs“ und in der die so genannte „schwarze Liste“[3] von Nichtregierungsorganisationen und Einzelpersonen, angeblich Zerstörer der Verfassungsordnung der RS erschien. Die Publikation wurde kurz nach den friedlichen Protestmärschen öffentlich gemacht, die im Februar 2014 vom Helsinki Bürgerparlament und der Bürgervereinigung Oštra nula, beide aus Banja Luka, organisiert wurden. Auf diese Weise wollten sie ein Zeichen der Solidarität mit den Arbeiter/innen und Bürger/innen der Föderation BiH setzen, die für ihre Rechte auf Arbeit, Lohn und ein würdiges Leben auf die Straße gegangen waren.

Und auch diesmal wurden die friedlichen Protestmärsche spontan mit Hilfe des sozialen Netzwerkes Facebook organisiert.

 

Kommen wir nun zum dritten Ereignis, der Verabschiedung des Gesetzes über die öffentliche Sicherheit und Ordnung in der RS im Jahr 2015. Damit wurde die Definition des „öffentlichen Raums“ auch auf soziale Netzwerke erweitert, was Raum für die Strafverfolgung oder Bestrafung bestimmter Handlungen oder Meinungsäußerungen („belästigenden Inhalts“) im Internet eröffnet! Das Gesetz wurde verabschiedet, trotz der Empörung sowohl der nationalen als auch der internationalen Öffentlichkeit und des Hinweises darauf, dass das Gesetz nicht im Einklang mit der bosnisch-herzegowinischen Verfassung und internationalen Standards steht. Es verstößt insbesondere gegen Artikel 10 der Europäischen Konvention zum Schutz der Menschenrechte und Grundfreiheiten, der Universellen Deklaration über die Menschenrechte und das Internationale Abkommen über Bürger/innen- und politische Rechte und stellt auf gefährliche Weise die Meinungs- und Redefreiheit in Frage.  

Es ist kein Zufall, dass die Verfasser dieses Gesetzes die Definition des öffentlichen Raums um die sozialen Netzwerke erweitert haben, denn es hat sich herausgestellt, dass heutzutage die sozialen Netzwerke die Kanäle für die Artikulierung und Verbreitung von Informationen sind und sie nur schwer von der Regierung kontrolliert und verfolgt werden können.

Daraufhin folgte einer neuer Schlag gegen die Zivilgesellschaft in Form des Versuchs, einen Gesetzesentwurf über öffentliche Versammlungen in der RS und einem Gesetzesentwurf über die Transparenz der Arbeit von nicht-profitablen Organisationen in der RS durchzubringen. 

Gesetz: Was bedeuten „Sicherheit“ und „Ordnung“?

Der Gesetzesentwurf über öffentliche Versammlungen sah Proteste in „Schichten“ (von 08:00 bis 14:00 Uhr und von 18:00 bis 23:00 Uhr) und die Dauer öffentlicher Versammlungen von maximal drei Stunden vor, im Gegensatz zu „öffentlichen Versammlungen sportlicher Art“, die ohne zeitliche Begrenzungen stattfinden können. Auch diverse andere Verordnungen im Gesetzesentwurf waren sehr willkürlich und unklar definiert, was insgesamt als ein Versuch gedeutet werden kann, dass es Bürgervereinigungen, Einzelpersonen, informellen Gruppen, die durch öffentliche Versammlungen und Proteste die Regierung öffentlich kritisieren und auf Probleme in der Gesellschaft hinweisen, zusätzlich schwer gemacht werden soll?

Auf der anderen Seite wollte man mit dem Gesetzesentwurf über die Transparenz der Arbeit von nicht-profitablen Organisationen jene Akteur/innen, die ausländische Gelder erhalten, als „im Dienste ausländischer Subjekte“ diskreditieren, ihre Arbeit der vollen Kontrolle der Regierung der RS unterstellen und die Durchführung von politischen Aktivitäten verbieten. Dabei werde „politische Aktivität“ mit dem § 2, Artikel 7 des Gesetzesentwurfs als „jede Aktivität gegenüber Organen, Institutionen oder gewählten Vertreter/innen der RS im Sinne von Formulierungen, Verabschiedungen oder Änderungen von Verordnungen und Politiken der RS oder im Sinne von politischem oder öffentlichem Interesse“ definiert.

Auch wenn diese Gesetzesentwürfe niemals verabschiedet wurden, ist evident, dass ihr Ziel, zusammen mit dem Gesetz über öffentliche Sicherheit und Ordnung, einzig darin lag, die Handlungsspielräume für zivilgesellschaftliche Akteur/innen einzuschränken.

Hinzu kommen weitere Behinderungen von Bürgerinitiativen, die in den letzten zwei Jahren in der RS ins Leben gerufen wurden, wie zum Beispiel die Freizeitzone Banja Luka oder die Initiative für Borik, einem Stadtteil Banja Lukas. Diese sammelte in wenigen Tagen über 5.000 Unterschriften von Bürger/innen, die gegen die Entscheidung der Stadtverwaltung eintraten, dass an der Stelle eines Kinderspielplatzes im Stadtteil Borik eine orthodoxe Kirche entstehen sollte. Die Stadt Banja Luka verwarf die Forderung der Bürgerinitiative, die Grünanlage mit dem Kinderspielplatz darauf zu erhalten. Diese Entscheidung der Stadt Banja Luka wurde jedoch vom Obersten Gericht der RS revidiert. Dennoch ist die Forderung der Bürgerinitiative nach dem Erhalt der Grünanlage bis heute nicht auf die Tagesordnung der lokalen Vollversammlung gesetzt worden.

Die Freizeitzone kämpft für den automobilfreien Ausflugsort „Šehitluci“ (Banj Berg in Banja Luka) und haben zahlreiche Aktionen diesbezüglich organisiert, aber die Stadtverwaltung gibt die Freigabe für den Autoverkehr an diesem Standort, den Dutzende von Bürger/innen täglich besuchen, nicht auf. Das Beharren der Stadtverwaltung auf ihrem Vorhaben wird mit der Eröffnung des Restaurants „Novak“ auf dem Banj Berg und den persönlichen Partei-Interessen einzelner Akteure in Verbindung gebracht. Neuerlich wird auf diese Weise versucht, den Bürger/innen einen Ort zu nehmen, an dem sie sich treffen, sich unterhalten und ihre freie Zeit miteinander verbringen können.

Dem ist noch das im April 2016 verabschiedete Gesetz über die Polizei und innere Angelegenheiten der RS hinzuzufügen, mit dem laut Oppositionsparteien ein rechtlicher Rahmen für mehr Repressionen, Verhaftungen und Einschränkung der verfassungsmäßigen Rechte und Freiheiten der Bürger/innen geschaffen wird.

Die Oppositionsparteien behaupten, dass das Gesetz nicht vollständig im Einklang mit dem EU-Aquisist, es auch andere Gesetze auf Staats- und Entitätsebene verletzt, unter Anderem das Strafgesetz der RS, und es zudem die Zusammenarbeit mit staatlichen Sicherheitsbehörden und Rechtsinstitutionen in BiH derogiert.   

Einer der größten Kritikpunkte gegen das Gesetz bezieht sich auf die erweiterten Befugnisse, beziehungsweise die Kontrolle des Präsidenten der RS über die Polizei, sowie die Befugnisse der Polizei selbst.

In der RS ist kein Platz für die Europäische Menschenrechtskonvention  

Abschließend sollen noch die zwei Protestversammlungen erwähnt werden, die am 14. Mai 2016 in Banja Luka fast zeitgleich stattfanden. Die eine organisiert von der oppositionellen Partei im Mladen-Stojanović-Park, die andere, einen Kilometer weiter, von der Regierungskoalition unter dem Motto „Mit dem Herzen für die Srpska – Stopp dem Verrat“. Im Vorfeld der  beiden Versammlungen hatte der Präsident der RS, Miloorad Dodik, massiv gegen die Protestaktion der Opposition Stimmung gemacht und versucht, sie mit dem Hinweis zu verhindern, dass der Hauptplatz Banja Lukas bereits für Wochen ausgebucht sei. Es stellte sich heraus, dass die SNSD den Krajina-Platz vom 14. Mai bis 5. Juni angemietet hatte, so dass die Opposition mit dem Park (einem der wenigen noch übriggebliebenen in der Stadt) Vorlieb nehmen musste, was ein weiterer Beweis dafür ist, dass die Kriterien für Genehmigungen für öffentliche Versammlungen nicht für alle gleich sind. Zudem versuchten offizielle Stellen, die Proteste als „durch ausländische Elemente“ gesteuerte Aktionen zu brandmarken.

Die Proteste in Banja Luka vom 14. Mai zeichneten sich aus durch ein unglaublich großes Aufgebot an Sicherheitskräften. Bemerkenswert waren zudem der „Gastauftritt“ von Sonja Karadžić, Tochter des verurteilten Kriegsverbrechers Radovan Karadžić, bei der Opposition und Darko Mladić, dem Sohn des wegen Genozids in Srebrenica angeklagten Generals Ratko Mladić, bei der Versammlung der Regierungspartei sowie einer fast vollständigen Blockade des Stadtzentrums, in dem alle Geschäfte geschlossen waren.

Die Cafés waren geschlossen, in den Geschäften war der Verkauf von alkoholischen Getränken verboten, der Nahverkehr wurde eingeschränkt und Polizeieinheiten waren allerorts präsent. Eine ihrer Aufgaben war es, zu verhindern, dass die Protestierenden beider Lager aufeinander treffen konnten.  Sowohl die Demonstranten als auch die Kontra-Demonstranten, wie sie die Medien nannten, warfen Fragen auf –hat die Polizei mit ihrem massiven Aufgebot versucht, gegen jede vermeintliche Bedrohung der Verfassungsordnung und der Stabilität der RS vorzugehen? Die Kriterien bei der Vergabe der Genehmigungen der Proteste muten höchst dubios an.

Die Richtlinien der OSZE das Recht auf friedliche Versammlungen
Richtlinien der OSZE über das Recht auf friedliche Versammlungen besagen, dass sich die Regierungen der Mitgliederstaaten des Europarates darauf berufen, sich bei dem Verfassen oder Ändern von Gesetzen über öffentliche Versammlungen an die Prinzipien der Nichtdiskriminierung (Recht auf Versammlung muss allen gleichermaßen zugestanden werden), der Gesetzmäßigkeit (jegliche Einschränkung der Versammlungsfreiheit muss formell im Gesetz begründet sein, präzise und im Einklang mit der Europäischen Menschenrechtskonvention und anderen Instrumenten zur Wahrung der Menschenrechte), der Proportionalität (ohne routinemäßige Einschränkungen, die den Charakter und den Zweck der Versammlung von Grund auf ändern würden) und einer guten Verwaltung (die Öffentlichkeit sollte darüber informiert sein, welche Behörde zuständig für Genehmigungen der Versammlungen ist, und im Falle eines Verbotes oder Einschränkungen einer Versammlung sollte diese Entscheidung unverzüglich und in schriftlicher Form dem Organisator zugestellt werden mit einer Begründung für jede Einschränkung) zu halten.
Jegliche Einschränkung friedlicher öffentlicher Versammlungen muss mit realen und berechtigten Gründen untermauert werden. Sich auf den Schutz der nationalen oder Staatssicherheit zu berufen kann nicht als Ausrede für unklare oder willkürliche Einschränkungen von öffentlichen Versammlungen genutzt werden, es sei denn, es handelt sich tatsächlich um eine Gefährdung der territorialen Integrität oder dem Überleben eines Volkes eines jeden Staates.
 

[1] Die Deklaration der Initiative „Der Park gehört uns“: http://www.6yka.com/novost/28065/deklaracija-inicijative-park-je-nas

[2] Mehr zum Besuch der Initiative „Der Park gehört uns“ in Belgrad unter: http://www.rtvbn.com/374821/Inicijativa-Park-je-nas-i-u-Beogradu

[3] Die „schwarze Liste“ stellte ein gefährliches Markieren und einen Aufruf zum Lynch von Andersdenkenden durch die Regierung der RS dar. Auf der schwarzen Liste befanden sich neben einigen Medien und unabhängigen politischen und Wirtschaftsanalytiker/innen auch einige Organisationen der Zivilgesellschaft: Transparency International, das Helsinki Bürgerparlament Banja Luka, die Freie Republik, das Zentrum für informative Dekontaminierung der Jugend BUKA, das GEA Zentrum für Forschung und Studien, die Jugendinitiative für Menschenrechte und die Veteranenvereinigung der Republika Srpska.