Mostar - Jahrmarkt der Heucheleien

Frühlingseuphorie

Während ich diesen Artikel schreibe, möchte man meinen, in Mostar herrscht eine Art Festival-Stimmung. Der Frühling steht in seiner vollen Blüte, die Stadt füllt sich mit Touristen. Vor einigen Tagen hat Dragan Čović in einer theatralischen Zeremonie das Büro des kroatischen Präsidiumsmitglieds in Mostar eröffnet. Am gleichen Tag fand auch die Preisverleihung des „Večernji list“ (Abendblatt), der „Večernjak-Stempel“ statt, eine Auszeichnung an Personen, die im vergangenen Jahr herausragendes in ihrem Fachbereich geleistet haben. Aber das ist noch nicht alles, am gleichen Tag – es war Montag, der 11.4.2016  – wurde in Mostar das Kultur-Festival „Mostarer Frühling“ eröffnet, das die Matica Hrvatska (Kulturverein Stammmutter Kroatien) jedes Jahr organisiert. Zu erwähnen wäre da noch die Wirtschafts-Messe in Mostar, die am gleichen Tag stattfand.

Das sind selbst für wesentlich größere Städte als Mostar eine Menge Events,  aber wir leben in Zeiten der Inflation diverser Ereignisse, teils wegen der Geschwindigkeit des Informationsflusses, teils wegen der Hyperproduktion von Allerlei.  Nach dem oben genannten würde man meinen, dass in Mostar einfach alles stimmt, Außenstehende könnten sogar meinen, Mostar wäre ein echtes Kultur-, Touristik- und Geschäftszentrum in diesem Teil Europas. Aber wie das mit Festivals so ist, soll auch mit diesem Festival des Allerleis der Anschein erweckt werden, dass in Mostar und Bosnien-Herzegowina alles stimmt, Stadt und Land das Leben in vollen Zügen genießen und mit neugierigen Augen in die Zukunft blicken.

Die Wahrheit sieht etwas anders aus. Die meiste Zeit des Jahres ist Mostar in einen lethargischen  Zustand eingelullt und lebt ein typisch mediterranes Provinz-Leben einer Stadt am Rande der Ereignisse, die erst in der Touristensaison etwas auflebt. Das wäre völlig in Ordnung, wäre Mostar ein pittoreskes mediterranes Städtchen. Aber Mostar und seine Einwohner/innen tragen noch immer die schwere Bürde der jüngsten Vergangenheit, eine Bürde, die ihnen das Genick zu brechen droht, sollte sich nicht schnell etwas ändern.

Sollte ich mich auf eine willkürliche Analyse der Lage in Mostar einlassen, dann fürchte ich, dass ich eine Studie schreiben würde, die am Ende niemand versteht. Daher ist es das Beste, ich versuche den Leser/innen in einigen separaten Abschnitten die politische und jede andere Realität der Stadt an der Neretva näher zu bringen.

Die Stadt als Fallbeispiel

Eigentlich ist Mostar gar kein Fallbeispiel. Während andere Städte eine komplette Zeitung allein mit Nachrichten aus der Rubrik „schwarze Chronik“ füllen könnten, lebt Mostar – zumindest was das angeht – ein ruhiges Leben. Aber das Problem dabei ist, dass Mostar unter besonderer Beobachtung steht und jeder Zwischenfall durch das Prisma der multinationalen Beziehungen zwischen den Bürger/innen betrachtet wird. Auch wenn Mostar die meiste Zeit im Jahr im Vergleich zu Sarajevo wie eine Mormonen-Gemeinde erscheint, wird jeder Zwischenfall in Mostar als mindestens fünf Mal gefährlicher für die Lage im ganzen Land eingeschätzt. Dies ist kein Wunder, wenn man bedenkt, dass Mostar die einzige Stadt in Bosnien-Herzegowina ist, die nach dem Krieg einigermaßen multi-national geblieben ist.  Die Wurzeln der politischen Instabilität in Mostar liegen freilich im Krieg, der die Stadt zu Beginn der 1990er  Jahre verwüstet hat. In diesem Krieg wurde die Stadt aufgrund der damaligen politischen Umstände zweigeteilt: In den östlichen, nominell Bosniakischen Stadtteil, und den mehrheitlich von Kroaten bewohnten westlichen Teil. Dieser historische und paradoxale Präzedenzfall besagt, dass dieselben politischen Parteien, die Bosnien-Herzegowina in den Krieg geführt haben, nach dem Krieg an der Macht geblieben sind. Ich weiß zwar nicht, wer auf die Idee gekommen ist, dass jene, die den Krieg begonnen haben nun Frieden und Stabilität garantieren könnten, aber dies sind nun mal die politischen Karten, die uns  Bürgerinnen und Bürgern Bosnien-Herzegowinas zugeteilt wurden.

Transition

Die inter-ethnischen Konflikte, die im Krieg eskalierten, wurden auf die Ebene des politischen Kampfes übertragen. Zumindest sieht es für den außenstehenden Beobachter so aus. Der Schlüssel für die inter-ethnische Intoleranz in Mostar ist die Transition, die dieses Land seit bereits 20 Jahren mit Schmerz und Leid durchläuft. Die aus dem Krieg verbliebenen  Spannungen werden als einfaches Mittel für die Mobilisierung der Wählerschaft genutzt. Um es ganz banal auszudrücken: Während das Volk sich noch mit nationalen Fragen beschäftigt, vollzieht die politische und Geschäfts-Elite die wirtschaftliche Transition der Gesellschaft. Der Nationalismus ist, wie wir alle wissen, ein sehr primitives politisches Instrument. Und wenn wir uns bewusst machen, dass die Transition eine geschönte Bezeichnung für das im Voraus akkumulierte Kapital ist, dann kann man leicht zwei und zwei zusammenzählen.  Das Kriegs-Erbe und der Nationalismus werden als „Schnuller“ zur Beruhigung genutzt, um die im Krieg aufgestellten Politiker/innen an der Macht zu lassen, während sich hinter dem Rücken der Bürger/innen  das reinste Privatisierungs-Chaos, die Plünderung staatlicher Unternehmen , öffentlichen Raums und anderer Güter abspielt. Mostar ist kein besonderer Fall, was das angeht. Man könnte es höchstens als Spiegelbild der politischen Situation in ganz BiH bezeichnen.  Wahrscheinlich sind deswegen die meisten Analytiker der Meinung, dass derjenige, der die Lösung der Probleme in Mostar findet, gleichzeitig auch den politischen Gordischen Knoten in Bosnien-Herzegowina löst. Meiner Meinung  nach werden die nationalen Spannungen in dem Moment verschwinden, wenn die politischen Eliten die letzten Reste des Sozialvermögens privatisiert und unter sich aufgeteilt haben und die wichtigsten öffentlichen Standorte in den bosnisch-herzegowinischen Städten verkauft sind.

Für diese Behauptungen gibt es viele Beispiele allein in Mostar, aber dies würde den Rahmen hier sprengen. Die Etablierung des Kapitalismus ist ein langwieriger Prozess und die Idee der Zukunft leidet am meisten.

Intrigantes Mostar 

Die Partei der Demokratischen Aktion (SDA) hat der Öffentlichkeit vor Kurzem ihren Lösungsvorschlag für eine Umstrukturierung der Verwaltung der Stadt Mostar unterbreitet. Um es gleich klarzustellen: Der Vorschlag, den der SDA-Repräsentant unterbreitete, war schlichtweg eine Schweinerei. Umso mehr, wenn wir uns bewusst machen, dass sich die selbsternannten Kämpfer für ein einheitliches Bosnien-Herzegowina für eine Teilung der Verwaltung Mostars einsetzt. Das Festhalten an Prinzipien ist bekanntermaßen nicht üblich in der Politik, aber dies ruft doch sehr viel Verwunderung hervor. 

Die Heuchelei der SDA ist umso größer, als sie diejenigen waren, die unmittelbar nach dem Krieg ein in jedem Sinne wiedervereinigtes Mostar befürworteten, während die heutigen Befürworter der Einheit Mostars damals für eine Teilung der Stadt plädierten. 

Zur damaligen Zeit war die Position der SDA wesentlich bequemer. Der einheitliche Staat – und somit auch Mostar – war ein lang gehegter Traum der internationalen Gemeinschaft, so dass die SDA in solch einem politischen Klima ihre Interessen verfolgte. Heute ist die Situation eine völlig andere. Das einheitliche Bosnien-Herzegowina ist zu einer Wahnvorstellung geworden, von der selbst die internationale Gemeinschaft mittlerweile Abstand genommen  hat. Die Position der Kroatischen Demokratischen Union (HDZ) wurde dadurch gestärkt, und die SDA hat durch ihr Verschulden aus Mostar ein heimisches Terrain für die HDZ geschaffen, das dieses natürlich für sich nutzen will. Dass Mostar heimisches Terrain für die HDZ ist belegt auch die Tatsache, dass die Mostarer SDA nach Sarajevo fährt, um sich zu beraten. Ob es einem gefällt  der nicht, das ist der momentane Stand der Dinge. Und das ist das verrückteste an diesen Machenschaften, die Mostar als Fallbeispiel zurück in den Fokus der Öffentlichkeit gebracht haben.  

Solche Dinge passieren meistens in der Vorwahlzeit, wenn der nationalistische Dampfkochtopf in Bosnien-Herzegowina zu brodeln beginnt. Und sie werden immer von der bisher stärksten und verrücktesten Koalition, die es jemals gab, nämlich der zwischen SDA und HDZ, inszeniert, deren öffentliche Streitereien in Wahrheit das Resultat einer gemeinsamen Strategie für ihre Machterhaltung sind. Und zwar schon seit zwei Jahrzehnten.

So stellte jemand, ganz zufällig zu der Zeit, als die Diskussionen über die Umstrukturierung der Verwaltung der Stadt Mostar im Gange waren, ein großes steinernes Wappen der Kroatischen Republik Herceg-Bosna auf einem Berg über Mostar auf. Ebenso zufällig randalierte genau zu diesem Zeitpunkt eine Grippe Hooligans in der Altstadt und richtete enorme Schäden an. Auf diese Weise gerät Mostar natürlich als Fallbeispiel in den Fokus der Öffentlichkeit. Immer in der Vorwahlzeit. Und so begann unmittelbar vor dem Frühjahrs-Festival des Allerleis auch die Homogenisierung der Einwohner/innen Mostars in Vorbereitung der anstehenden Wahlen, von denen man nicht einmal weiß, ob sie stattfinden – zumindest in Mostar.  

Realistisch betrachtet ist die Lage für jeden einigermaßen intelligenten und politisch gebildeten Menschen lächerlich. Sie ist aber auch sehr komplex und selbst für Einheimische, geschweige denn für neugierige Außenstehende, schwer zu erklären. Nie zuvor in der Geschichte war die Heuchelei der Politik so offensichtlich wie im modernen Mostar.  

Wenn ich in wenigen Worten die aktuelle Lage in Mostar und Bosnien-Herzegowina beschreiben wollte, wären die ungefähren Worte des kroatischen Journalisten und Autors Viktor Ivančić am geeignetsten, der versuchte, den Kroaten zu erklären, warum sie Anfang der neunziger Jahre Krieg geführt haben: Die Kroaten haben gegen die Serben gekämpft, damit der kroatische Geschäftsmann Ivica Todorić heute in einem Schloss leben kann. Genauso könnten wir sagen, dass alles, was in Bosnien-Herzegowina ab Anfang der neunziger Jahre geschah, den Zweck hatte, dass Bakir Izetbegović sein Emirat bekommt, Dragan Čović seine eigene Lehnschaft und Milorad Dodik seine Gubernia.

Aus dem Kroatischen ins Deutsche von Alma Sukić, Büro Sarajevo der Heinrich-Böll-Stiftung