“Wir drücken unsere Bereitschaft aus, zusätzliche Anstrengungen zu unternehmen, damit die Kommunalwahlen in Mostar zeitgleich mit den Lokalwahlen in Bosnien-Herzegowina stattfinden können, wir als zwei der größten politischen Organisationen im Stadtgebiet Mostars sind uns unserer Verantwortung bewusst, wir erinnern an die Wichtigkeit, Diskriminierung und jede Form von Domination zu eliminieren und die Gleichwertigkeit aller Wählerstimmen im Stadtgebiet Mostars zu gewährleisten, (…)”
In diesem Absatz des Agreements wird bereits deutlich, dass es sich nicht (wie im Titel behauptet) um ein politisches Abkommen handelt. Tatsächlich waren nicht alle politischen AkteurInen Mostars in den Prozess einbezogen wurden, sondern ausschließlich die Vertreter der beiden größten nationalistischen Parteien, der HDZ BiH (Kroaten) und der SDA (Bosniaken). Unterzeichnet wurde das Abkommen von den Parteichefs Bakir Izetbegovic und Dragan Covic im Beisein der Vertreter der EU (Chef der EU-Delegation), der OSZE, der High Representative sowie der US-Botschafter und der Botschafter Großbritanniens.
Mit dem Agreement wurde der Weg zu Wahlen geebnet. Diese werden nun am 20. Dezember 2020 stattfinden; dies wäre nach 12 Jahren der erste Urnengang auf lokaler Ebene. Gemäß Abkommen wurde folgendes für das Mostarer Stadtgebiet festgelegt: Mit der Erststimme wählen die Bürger*innen anstatt 18 Abgeordneten aus sechs Wahlkreisen (city areas - den ehemaligen Stadtgemeinden), und zwar jeweils drei unabhängig von der Einwohnerzahl, nun 22, aufgeteilt entsprechend nach der Einwohnerzahle in den Wahlbezirken, gewählt. Statt 17 Abgeordneten von der städtischen Liste wählen die BürgerInnen mit ihrer Zeitstimme nunmehr nur noch 13 Abgeordnete ins 35-köpfige Stadtparlament. Die EinwohnerInnen des Bezirks Mitte, der die beiden getrennten Stadtteile Mostars „verbindet“, bleiben weiterhin ohne parlamentarische Vertretung, und zwar legal. Sie können nun entscheiden, wo sie wählen möchten: Im Wahlkreis Altstadt oder im Südwesten der Stadt (Stadtzentrum ist die Grenze zwischen diesen beiden Bezirken).
Demnach hat sich die Zahl der VertreterInnen, die per Direktwahl für die ganze Stadt von den BürgerInnen gewählt werden, reduziert, die Zahl derer aus den (nationalistisch dominierten) Wahlkreisen hat sich dagegen vergrößert. Die nationalistischen Parteien HDZ und SDA können die kleineren Wahlbezirke besser kontrollieren, deshalb ist diese "Mathematik" von Vorteil für sie. In einem zweiten Schritt soll nach den Wahlen im konstitutierten Stadtparlament durch die Abgeordneten von HDZ und SDA mit erhoffter Zweidrittelmehrheit ein neues Statut der Stadt Mostar verabschiedet werden, das die politischen Entscheidungsbefugnisse weitgehend von den gemeinsamen städtischen Institutionen (Bürgermeister, Stadtparlament) auf die city areas verlagert werden. Damit würdedie in der Nachkriegsepoche durch die Internationale Gemeischaft, und insbesondere durch das vom Hohen Repräsentanten 2004 dekretierte Statut Mostars erreichte, partielle Wiedervereinigung der Stadt zugunsten ihrer erneuten, faktischen ethnoterritorialen Teilung in die drei kroatischen, HDZ-kontrollierten city areas auf der Westseite des Neretva-Flusses, und die drei SDA-kontrollierten auf der Ostseite.
Zusätzlich zum Abkommen zu Mostar wird ein „Arrangement-Paket“ für Änderungen und Ergänzungen des Wahlgesetzes für ganz BiH vereinbart, eine Zusicherung für die „legitime Vertretung der konstitutiven Völker“ im Staatspräsidium und den Völkerkammern. All dies beinhaltet klare Elemente ethnischer Segregation und steht im Widerspruch zum multiethnischen Charakter Bosniens und Herzegowinas und zu den Werten, die die EU propagiert.
Der politische Analyst Bodo Weber konstatiert, dass hinter dem Agreement und den Änderungen des Wahlgesetztes die Realisierung des von den Kroaten verfolgten Projektes der Einführung einer dritten, kroatischen Entität steckt – die HDZ unter Dragan Covic strebt die Schaffung einer eigenen Entität in Bosnien-Herzegowina an, was zu einer weiteren Vertiefung des ethnischen Prinzips führt. Die Formulierung der „legitimen politischen Vertretung der konstitutiven Völker“ soll den dauerhaften Machtanspruch der HDZ für alle Kroaten in BiH festlegen. Hier werden Ziele auf der Staatsebene mit der Mostarer Problematik vermischt und durch die Hintertür eingeführt, da das Abkommen die Unterstützung durch die Internationale Gemeinschaft, allen voran der EU, erfuhr.
Evidenterweise steht der Kern des Mostar-Abkommens zudem im grundlegenden Widerspruch zur Stellungnahme der Europäischen Kommission vom Mai 2019 zum Antrag Bosnien-Herzegowinas auf EU-Kandidatenstatus, die bezüglich einer künftigen Verfassungsreform klar die Bedingungen formulierte, die erfüllt werden müssten, damit Bosnien eines Tages Mitglied der Europäischen Union werden kann: "Erhebliche Einschränkungen des ethnischen Prinzips der Gewaltenteilung und der Institutionen, die bisher nur der Politik der interethnischen Angst und der Bevormundung der regierenden Parteien dienen“.
Zum Schluss muss darauf verwiesen werden, dass BürgerInnen und KommunalpolitikerInnen in Mostar kritisieren, dass der Inhalt des Abkommens im Detail nicht offiziell kommuniziert und verbreitet wurde. Es sei ein überaus intransparentes, klandestines Vorgehen, zumal vereinbart außerhalb staatlicher Institutionen.