Angriffe auf Bosnien und Herzegowina „Kroatien und Serbien bringen den Frieden in Gefahr“

Interview

Interview mit Prof. Christian Schwarz-Schilling,

Bundesminister a. D. und ehemaliger Hoher Repräsentant für Bosnien und Herzegowina

Das Interview führte Marion Kraske, Leiterin des Büros der Heinrich Böll Stiftung in Sarajevo

Lesedauer: 9 Minuten
Mostar_Partisan cemetery_Hakenkreuz
Teaser Bild Untertitel
Partisanenfriedhof Hakenkreuz Mostar

1. Den 25. Jahrestag der Unterzeichnung des Friedensabkommens von Dayton nehmen etliche nationalistische Akteure in der Region zum Anlass, Angriffe auf die staatliche Verfasstheit Bosnien und Herzegowinas (BiH) zu formulieren. Wie bewerten Sie das?

Leider nutzen die Nationalisten jeden politischen Anlass, wie etwa den 25. Jahrestag von Dayton, um ihre nationalistischen und sezessionistischen Parolen loszuwerden. Das ist in Bosnien leider an der Tagesordnung, und das schlimmste dabei ist, dass sich alle daran gewöhnt haben; sowohl die Bosnier, als auch die Internationale Gemeinschaft (IG). Vor 15 Jahren wäre so etwas nicht geduldet worden. Heute nimmt man es zur Kenntnis und das war es. Ich frage mich nur, wie lange?

2. Milorad Dodik, serbischer Vertreter im bosnischen Staatspräsidium und Dragan Covic, Chef der nationalistischen HDZ BiH, haben offenbar einen Pakt geschlossen und wollen einerseits die Sezession und andererseits eine eigene ethnische Einheit. Beides sind Ansätze, die der derzeitigen Dayton-Verfassung entgegen stehen und zu einem Zerfall des Landes führen würden. Was ist der Plan?

Das alles ist gar nicht neu. Schon lange ist das ein Thema. Der Plan ist, eine dritte Entität zu schaffen – das wollen die Kroaten - und die Serben wollen die RS von Bosnien und Herzegowina abspalten, klar. Aber sie wissen sehr gut, dass beides unmöglich ist.  Trotzdem spielen sie gemeinsam ihr Spiel weiter, um das Volk zu beunruhigen und in Angst zu versetzen, damit sie weiter an der Macht bleiben und die Wahlen manipulieren können. Dabei testen sie die Geduld der IG, weil alles, was sie da treiben, gegen geltendes Recht ist.

3. Wie gefährlich sind diese Politiken für das multiethnische Antlitz Bosniens - als Gegenmodell zu der Politik ethnisch reiner Gebiete, die zu schweren Verbrechen wie dem Genozid in Srebrenica geführt haben?

Diese Politik, verbunden mit Propaganda und Hassbotschaften, ist in der Tat sehr gefährlich. Sie bedrohen nachhaltig den Frieden in der Region. Wenn sie die ganze Zeit von allen Seiten nur mit Hassbotschaften, sezessionistischen und nationalistischen Parolen konfrontiert werden, ist klar, dass es viele in den politischen Extremismus treibt, wo von Zusammenleben in einem multiethnischen Staat keine Rede mehr ist. Dann regiert der Hass. Das ist sehr gefährlich. Man muss in einer solchen Umgebung wirklich einen starken Charakter haben, um die Wahrheit und die richtige Einstellung zu finden. Sie sehen, wie wichtig es ist, ehrliche Politiker in den führenden Positionen zu haben.

4. Die Partei von Milorad Dodik, SNSD, und die von Dragan Covic,  HDZ BiH haben ein Ultimatum zur Reformierung Bosniens gestellt.  Der Hohe Repräsentant für BiH Valentin Inzko hat darauf bereits reagiert und erklärt, es gebe keine Abweichung vom derzeitigen Plan für BiH. Reicht das aus, um die Angreifer zu befrieden?

Nicht nur Inzko hat vor einer solchen gefährlichen Entwicklung gewarnt. Die Quint, der US Botschafter Nelson, die PIC Länder, alle haben es klar ausgesprochen, dass der Dayton-Vertrag nicht ausgehöhlt werden darf. Aber offenbar reicht das nicht. Solange keine stärkeren Maßnahmen seitens der Internationalen Gemeinschaft ergriffen werden, solange werden HDZ und SNSD immer frecher. Ich glaube, dass man stark reagieren muss und es nicht nur bei Warnungen belassen darf. Der Hohe Repräsentant hat die nötigen Mittel dazu. Man braucht dafür nur den entsprechenden politischen Willen. Ich denke, dass das bald passieren wird.

Mostar_Partisan cemetery ustasa grafiti

5. Die Agenden der SNSD und der HDZ BiH erinnern an die extremistischen Politiken der 90er Jahre, als der kroatische Präsident Franjo Tudjman und sein serbischer Counterpart Slobodan Milosevic beim Treffen von Karadjordjevo Bosnien untereinander aufteilten. Sehen Sie hier eine historische Kontinuität?

Ja, klar. Serbien hat seine Pläne über Groß-Serbien nie aufgegeben. Kroatien auch nicht. Beide Nachbarländer benehmen sich so, als wäre Bosnien ihre Kolonie.  Es ist unheimlich, wie sie die bosnischen staatlichen Institutionen umgehen und ignorieren. HDZ BiH und SNSD benehmen sich so wie sie sich benehmen, weil sie sich von Serbien und Kroatien in ihren Agenden unterstützt fühlen.

 

6. Serbien mischt sich in der Region derzeit an unterschiedlichen Spielorten ein, unter anderem auch bei den jüngsten Wahlen in Montenegro. Gibt es weiterhin groß-serbische Ziele, die in Belgrad verfolgt werden?

Natürlich. Dieser Plan besteht heute noch und sie alle arbeiten fleißig daran.  Der serbische Präsident Aleksander Vucic, Dodik, die Orthodoxe Kirche - sie alle werden hier unterstützt von Russland. Die Konsequenz ist Unruhe und Instabilität auf dem Balkan. Mit ihren Agenden bringen Kroatien und Serbien die Friedensordnung in Gefahr.

7. Jüngst gab es mehrere Treffen, die die negative Rolle Kroatiens auf die derzeitige Friedensordnung auf dem Balkan deutlich machten (etwa Präsident Milanovics Treffen mit Milorad Dodik). Wie kommt es, dass ausgerechnet das jüngste Mitglied der EU sich derart in die inneren Angelegenheiten eines anderen Staates einmischt und dabei offenbar eigene Verbrechen in der Vergangenheit (krimineller Parastaat Herceg-Bosna zur Schaffung eines Groß-Kroatiens) weiterhin glorifiziert denn kritisch aufarbeitet?

Es hängt immer alles davon ab, wie die führende politische Struktur eines Landes ist. Die HDZ in Kroatien entscheidet die Politik des Landes und sie ist - genauso wie in den Zeiten des ehemaligen Präsidenten Tudjman - nationalistisch und alles andere als freundlich gegenüber Bosnien gesinnt. Hier beobachten wir eine Interaktion zwischen zwei HDZ´s, was ganz negative Reflexionen in BiH hat. Sie unterstützen und schaukeln sich gegenseitig hoch in eine destruktive Politik gegenüber BiH. Kroatiens Präsident Milanovic ist zwar Sozialdemokrat, aber wenn man seine Äußerungen liest, denkt man, er kandidiert für den HDZ-Vorsitz. Denken Sie nur an die Zeit, als Stjepan Mesic in Kroatien der Präsident war. Damals war eine solche Situationen undenkbar.

8. Deutschlands Außenminister Heiko Maas hat jüngst in einer Rede im Bundestag betont, dass Kriegsverbrechen nicht straflos bleiben dürfen und die deutsche EU-Ratspräsidentschaft dafür eintritt, ein Menschenrechtssanktionsregime auf den Weg zu bringen. Gleichzeitig erleben wir in Kroatien, dem jüngsten EU-Mitglied, die Glorifizierung des kriminellen Parastaates Herceg-Bosna während des Bosnienkrieges, der zum Ziel hatte, in Bosnien, genauer gesagt, der Herzegowina, alles Nicht-Kroatische Leben zu töten oder zu vertreiben. Es gab Schweigeminuten im kroatischen Parlament und in katholischen Kirchen, als sich ein Kriegsverbrecher in den Haag im Gerichtssaal das Leben nahm. Wie sollte hier eine kritische Geschichtsaufarbeitung angeschoben werden? Könnte Deutschland eine unterstützende Rolle spielen, wo ja auch die Aufarbeitung des Holocaust eine wichtige Grundsteinlegung für eine demokratische Reformentwicklung gesetzt hat?

Eine schwere Frage. Nicht nur die neuere Geschichte ist im ehemaligen Jugoslawien nicht aufgearbeitet, sondern sogar die Ereignisse aus mehreren hundert Jahren haben ihren unversöhnlichen Charakter bis heute beibehalten. Ich bin aber optimistisch, dass gerade Deutschland aufgrund der Geschichte und Erfahrung eine treibende Kraft dieser Aufarbeitung sein kann.

Nun aber gab es in dieser Hinsicht eine gute Nachricht: Eine Einigung in der  EU über den notwendigen Rechtsstaatsmechanismus sei, so wie Manfred Weber, der Parlamentsvorsitzende der Europäischen Volkspartei (EVP) sagte, ein historischer Schritt für die EU. Bei Verstößen gegen Rechtsstaatlichkeit und demokratische Grundwerte sollen EU-Gelder gestrichen werden. Das jüngste EU Mitglied, Kroatien, muss sich jetzt gut überlegen, ob es die Belobigung von verurteilten Kriegsverbrechern weiterhin feiert und undemokratische Prozesse unterstützt.

Die Länder des Westbalkans, welche in die EU wollen, werden auch in Zukunft besser aufpassen müssen. Außenminister Maas hat neulich in seiner Eröffnungsrede bei der „Konferenz zum Thema Jugend, Migration und demografische Herausforderungen in den Westbalkanstaaten“, auf Bosnien und Herzegowina bezogen, nicht umsonst gesagt „In einem Land, das der EU beitreten will, kann es schlicht keinen Platz geben für nationalistische Hetze, die Leugnung von Kriegsverbrechen oder die Glorifizierung von Kriegsverbrechern.“

Schauen Sie sich den letzten Report des Hohen Repräsentanten vor der UN vom 5. November an. High Representative Valentin Inzko spricht hier an, wie wichtig gerade dieses Thema für BiH ist. Der Fakt, dass die nationalistischen Führer weiterhin Kriegsverbrechen leugnen, verurteilte Kriegsverbrecher verherrlicht werden und sogar Gedenkfeiern staatlich organisiert werden – siehe den SDS-Gründer und verurteilten Kriegsverbrecher Momcilo Krajisnik - führt nicht zu Versöhnung, sondern zu weiterem Hass. HR Inzko sagt zurecht, dass hier Empathie und Mitgefühl für das Leiden und den Verlust den Anderen ignoriert wird. Das verstößt gegen die europäischen und weltweiten Standards der Menschheit.

Ich hoffe, dass nun endlich mit dieser Entscheidung der EU Fortschritte in diese Richtung im gesamten Balkan erreicht werden. Es ist höchste Zeit, dass in BiH ein Gesetz gegen die Leugnung des Genozids und die Glorifizierung von Kriegsverbrechern auf den Weg gebracht wird. In diesem Zusammenhang darf ich noch einmal Außenminister Maas zitieren: „Lassen Sie uns endlich die Geister der Vergangenheit begraben.“

9. Hat man in Brüssel und Berlin die Gefährlichkeit der serbischen und kroatischen Agenden in Bezug auf Bosnien und die derzeitige Friedensordnung ausreichend im Blick? Was sollte vor allem die EU unternehmen, um hier eine Eskalation in der Region und neue – möglicherweise auch kriegerische – Auseinandersetzungen zu verhindern?

Ich kann sagen, dass Berlin das erkennt, im Falle Brüssels bin ich mir nicht so sicher. Die Internationale Gemeinschaft insgesamt muss sich mehr involvieren. Die USA mit Botschafter Eric Nelson ist wirklich gut aktiv in Bosnien vertreten. Sollte Jo Biden Präsident werden, wird es sicherlich noch besser werden. Man vergisst, dass das OHR immer noch da ist, obwohl es manchen nicht so passt, aber es ist eine Institution, die viele bestehende Probleme in der Implementierung von Dayton mit legalen Mitteln regeln könnte. Ich wiederhole: Es fehlt an politischem Willen!!

Man hat Bosnien einfach irgendwo in die Ecke geschoben und versucht, auch halbherzig, erst einmal andere Probleme auf dem Balkan zu lösen und dann irgendwann zu den bosnischen Problemen zurückzukehren.  Ich sage Ihnen, das ist der falsche Weg! Hat man den furchtbaren Krieg in Bosnien vergessen?! Solange BiH nicht im Fokus ist, richten dort die nationalistischen und separatistischen Mächte solchen Schaden an, dass es später sehr schwer werden wird, diese wieder in Ordnung zu bringen.

Man soll nicht unerwähnt lassen, dass andere Großmächte wie China, Russland oder die Türkei es sich auf dem Balkan schon ganz schön bequem gemacht haben. Worauf wartet die EU? Das OHR? Ich vermisse eine gemeinsame Aktion von EU und USA, eine Neuorientierung und Stärkung des OHR und stärkere Maßnahmen bei allen Verletzungen und Verstößen von Dayton. Es gibt so viele Möglichkeiten, die Nationalisten und Separatisten in BiH zu stoppen. Man muss es nur wollen. Man kann nicht länger warten, Bosnien-Herzegowina muss jetzt geholfen werden!!

10. Was fordern Sie von der deutschen Außenpolitik?

Mehr Eigeninitiative und Fokussierung auf Bosnien.  Und ich sage Ihnen, ich bin da optimistisch.

 

Infos zum neuesten Buch "Der verspielte Frieden in Bosnien" von Dr. Christian Schwarz-Schilling zum Thema finden Sie hier:

https://www.herder.de/geschichte-politik-shop/der-verspielte-frieden-in-bosnien-gebundene-ausgabe/c-34/p-20101/

Christian Schwarz-Schilling