Der Ausschluss dreier Richter aus dem Internationalen Residualmechanismus für die Ad-hoc-Strafgerichtshöfe (MICT): Ein neuer Anschlag von Richter Antonetti auf das internationale Recht?

Bericht

Die Verteidiger Mladićs haben einen Ausschluss von Meron, Aguis und Daquna gefordert, da sie ihnen Befangenheit vorwarfen wegen ihrer früheren Beteiligung an der Bestimmung des Strafmaßes für Mladićs Offiziere der Armee der Republika Srpska, die vor dem Den Haager Tribunal für Kriegsverbrechen im ehemaligen Jugoslawien (ICTY) für ihre Beteiligung an schweren Verbrechen gegen die Menschlichkeit in Srebrenica beteiligt waren.

Gedenkstätte Potočari

Der Ausschluss dreier Richter aus dem Internationalen Residualmechanismus für die Ad-hoc-Strafgerichtshöfe (MICT): Ein neuer Anschlag von Richter Antonetti auf das internationale Recht?

Die Entscheidung des französischen Richters Jean-Claude Antonetti, dem Antrag des Verteidigungsteams von Ratko Mladić, General der Republika Srpska, auf Ausschluss wegen angeblicher Befangenheit von drei Richtern des Internationalen Residualmechanismus für die Ad-hoc-Strafgerichtshöfe (MICT) aus der Berufungskammer, die die Verhandlung gegen Mladić in zweiter Instanz führte, rief zahlreiche Reaktionen der nationalen und internationalen Öffentlichkeit aber auch eine dringende Reaktion der Staatsanwaltschaft des MICT hervor. Es folgte eine Anfechtung der Entscheidung von Richter Antonetti seitens der Staatsanwaltschaft des MICT, die vom Vorsitzenden des MICT, Theodor Meron (Mitglied des Richterkollegiums im Fall Mladić, das von Antonetti ausgeschlossen wurde) verlangte, im Einklang mit der Bestimmung 18 (B) (ii) ein dreiköpfiges Richterkollegium einzuberufen und unverzüglich die Entscheidung Antonettis rückgängig zu machen mit der Begründung, die Entscheidung Antonettis „weiche in hohem Maße vom etablierten Recht in den internationalen Tribunalen ab“ beziehungsweise stehe im Widerspruch zur Gerichtspraxis.  

Richter Antonetti hatte die Richter Theodor Meron, Carmel A. Agius und Liu Daqun abgesetzt und eine Ernennung neuer Richter entschieden, die den Strafprozess in zweiter Instanz gegen Mladić weiterführen sollten: Mparany Mamy Richard Rajohnson, Prisca Matimba Nyambe und Gberdao Gustave Kam. Außer Richterin Nyambe, die an den Prozessen wegen Kriegsverbrechen im ehemaligen Jugoslawien beteiligt gewesen war (sie stimmte gegen einen Schuldspruch für Zdravko Tolimir wegen Genozids in Srebrenica), haben die beiden anderen neu ernannten Richter ausschließlich an Fällen von Verbrechen in Ruanda gearbeitet und hatten bis dahin keine Prozess- oder eine andere Art von Erfahrung in Fällen des ehemaligen Jugoslawien, die vor dem Haager Kriegsverbrechertribunal oder dem MICT verhandelt wurden.

Die Verteidiger Mladićs haben einen Ausschluss von Meron, Aguis und Daquna gefordert, da sie ihnen Befangenheit vorwarfen wegen ihrer früheren Beteiligung an der Bestimmung des Strafmaßes für Mladićs Offiziere der Armee der Republika Srpska, die vor dem Den Haager Tribunal für Kriegsverbrechen im ehemaligen Jugoslawien (ICTY) für ihre Beteiligung an schweren Verbrechen gegen die Menschlichkeit in Srebrenica beteiligt waren. Aus Sicht der Verteidiger hätten die betroffenen Richter Mladić bereits im Vorfeld für schuldig erklärt, was sie ihrer Ansicht nach als nicht objektiv und unvoreingenommen disqualifiziere.

Die Richter Meron, Agius und Daqun waren an den Verurteilungen von Vujadin Popović, Zdravko Tolimir, Vidoje Blagojević, Radislav Krstić u.a. beteiligt, wobei die Skala der Schuldsprüche von 15 Jahren bis lebenslängliche Haft reichte.  

“Richter Antonetti hat keine konkrete Befangenheit festgestellt, sondern ist zu dem Schluss gekommen, dass bestimmte Angaben über Mladićs strafrechtliche Verantwortung in den o.g. Urteilen zu begründeten Zweifeln an der Unbefangenheit der Richter führen könnten“, so die Sprecherin des MICT, womit sie jedoch nur das Wesentlich an Antonettis Entscheidung, nämlich dass keine Befangenheit festgestellt werden konnte, bloßstellte, aber dann eben doch, was darauf hindeutet, dass das gesamte rechtliche Prozedere am MICT unklar ist und es sich hier um einen Präzedenzfall handelt. Und zwar um einen sehr ernsten Präzedenzfall, der juristische Folgen nach sich zog, denn Richter Antonetti ernannte drei neue Richter, so dass die Frage nach der tatsächlichen Befangenheit oder einer befürchteten Befangenheit auch ein Resultat hatte – den Ausschluss dreier Richter.    

Der Schriftsatz des MICT mit der Bezeichnung „Antrag“ bestätigt, dass die Prozeduren im MICT unklar definiert und es sich um eine völlig neue Situation handelt, wobei es sehr wichtig ist, die Maßnahmen und Regeln zu definieren, die im Falle von Zweifeln seitens der Parteien oder Zweifeln an der Integrität des Präsidenten des Internationalen Gerichtshofes anzuwenden sind.

Die Beweisführung jeglicher Art von Zweifeln gegenüber den Richtern eines jeden Gerichtes sollte höchste Standards befolgen, die Argumentation sollte und müsste nach präzise festgelegten Verfahren stattfinden, die Möglichkeit einer Beschwerde eingeschlossen. Dies ist ein Aspekt dieser Entscheidung, und was den MICT als Rechtsnachfolger des ICTY angeht, ist es wahrlich kompromittierend, dass Richter nach mehr als 20 Jahren und Hunderten Prozessen vor dem Haager Tribunal wegen ihrer Beteiligung an anderen Prozessen und Entscheidungen in Misskredit gebracht werden. Es stellt sich doch die einfache Frage, ob es überhaupt möglich gewesen sein konnte, irgendeinem der Offiziere der Armee der Republika Srpska den Prozess vor dem ICTY zu machen, ohne dabei den Namen Ratko Mladić zu nennen, der für alle Angeklagten der befehlshabende Offizier war.

Ist das tatsächlich Befangenheit, Unprofessionalität oder das fehlbare System des Internationalen Gerichtshofes, der doch klar definieren und festhalten müsste, was Gegenstand einer Anzweifelung der Unabhängigkeit und Unbefangenheit hinsichtlich der Arbeit des Haager Tribunals und der langjährigen Präsenz bei den Verhandlungen nicht nur der Richter sein darf, und wie damit zu verfahren ist. Ausgerechnet Antonetti darf über „Befangenheit“ entscheiden, wo er doch Richter am MICT mit der längsten Amtszeit am ICTY ist?! Antonetti ist bereits seit 2003 Richter am ICTY.

Was die Arbeit von Antonetti selbst angeht, sollte nicht vergessen werden, dass seine letzten Urteilssprüche im Haager Tribunal – das erstinstanzliche Urteil gegen Vojislav Šešelj und Antonettis Urteilsbegründung im erstinstanzlichen Urteil gegen Prlić u.a. (in beiden Verfahren war Antonetti der Vorsitzende der Richterkammer) – ein juristisches Desaster[1] waren, die großes Entsetzen auch unter Rechtsexperten in internationalen Kreisen hervorgerufen hatten. Die Richter haben im Berufungsverfahren sein Urteil gegen Šešelj sowie die Urteilsbegründung im Fall Prlić u.a. aufgehoben. Es überrascht keineswegs, dass die Berufungsrichter andere Urteile gefällt haben, als sie Antonetti sich gedacht und niedergeschrieben hat, denn alles, was er mit diesen beiden Urteilen getan hat, führte unmittelbar zum Einsturz der etablierten Gerichtspraxis und Ergebnisse, die das ICTY im Laufe der Jahre mit seinen Urteilen hervorgebracht hat.  

Das ist ein ziemlich großes Unterfangen, selbst für einen Antonetti, der Berater des französischen Präsidenten war und über den der Journalist Sejo Omeragić folgendes geschrieben hat: „Antonetti war ein hochrangiger Mitarbeiter in Frankreichs Justizministerium, dem wegen Korruptionsvorwürfen eine Anklage drohte und der Prozess gemacht werden sollte. Zur allgemeinen Überraschung tauchte er plötzlich als Richter im UN-Kriegsverbrechertribunal auf und erhielt so eine Art Immunität vor der Strafverfolgung. Eine Zeitlang war er rechtlicher Berater des französischen Präsidenten Jaques Chirac, was heute mit seinen rechtswidrigen Entscheidungen und dem Umsturz des internationalen Rechts in Verbindung gebracht wird.“

Diesbezüglich sollten auch die anderen Aspekte angesprochen werden, die aus der Entscheidung Antonettis hervorgehen, denn Antonetti ist nicht allein Teil der möglichen Geschichte, die er dänische Richter Frederik Harhoff seinerzeit im Haager Tribunal ins Rollen gebracht hatte. Er hatte davor gewarnt, dass der Freispruch für Ante Gotovina und Momčilo Perišić eine Einflussnahme der Politik in die Arbeit des ICTY sei und die Großmächte in die genannten Urteilsfindungen verstrickt seien und wurde aus der Richterkammer entlassen. Daran waren maßgeblich die aktuellen Akteure des MICT beteiligt. Die Reaktionen der Opfer auf Antonettis Entscheidung scheinen vollkommen begründet, denn würde man sich nur auf die Prozedere und die Fehler darin fokussieren, ohne dabei alle anderen Elemente im Blick zu haben, die seit dem Urteil für Gotovina, Perišić und später auch im Fall Stanišić-Simatović sehr wohl eine Rolle spielen, wäre das Bild unvollständig. 

Vielleicht sollte man sich die Medienberichte und offiziellen Mitteilungen der Russischen Föderation - vom Innenministerium bis hin zur Duma - nach dem Mladić-Urteil in Erinnerung  rufen, laut derer Moskau bereit war, Ratko Mladić jede Hilfe zukommen zu lassen und dass Russland als ständiges Mitglied des UN-Sicherheitsrats jederzeit „auf die Ernennung einer neuen Richterkammer Einfluss nehmen könnte, die eine Berufung im Fall Ratko Mladić erwägen und ihr Vetorecht nutzen würde, wenn Zweifel an dessen Objektivität aufkäme“.

Die Reaktionen der Anwälte sind interessant und bezeichnend, denn durch die Neubesetzung der Berufungskammer erwarten sie eine Aufhebung des Urteils gegen Mladić. „Dies ist eine bedeutende und sehr wichtige Entscheidung für uns, wir betrachten dies als großen Sieg. Wir hoffen, dass die neue Berufungskammer unsere Argumentation vollständig in Betracht zieht und unsere Berufung annimmt und letztendlich das Urteil gegen General Ratko Mladić aufhebt“, sagte Mladićs Anwalt Dragan Ivetić.

Die Opfer haben zurecht aufs Schärfste reagiert, aber es stellt sich die Frage nach der Reaktion der disqualifizierten Richter, und nicht nur der Ankläger des MICT. Denken die Richter (alle drei waren oder sind Präsidenten oder Vizepräsident des ICTY/MICT) tatsächlich, dass sie auf eine solche Art und Weise hätten diskreditiert werden sollen, und lassen sie es zu, dass sie disqualifiziert bleiben aufgrund einer Entscheidung, die – wie es die Sprecherin des MICT formuliert hat – auf „einer begründeten Befürchtung der Befangenheit“ fußt? In diesem Fall sind sie die Partei einer Seite, aber das wichtigste ist doch, dass sie Mechanismen anwenden können, um eine solche Entscheidung in Zukunft zu verhindern – eine Entscheidung, für die nicht einmal formell Beschwerde eingelegt werden kann. Neben den formellen Möglichkeiten stellt sich natürlich auch die Frage nach der Integrität besagter Richter, die – sollte die Entscheidung bestehen bleiben – in den Annalen als Antonettis Entscheidung gekennzeichnet bleiben: Als Unbefangene, schlechte Richter, wie auch die gesamte Prozedur der Disqualifikation der Richter.

Antonettis Entscheidung enthält mehr als 250 Seiten und stellt einen Stoff dar, der immerhin in den Annalen des internationalen Rechts verzeichnet bleibt. Daher ist es von entscheidender Bedeutung, dass es eine Möglichkeit der Hinterfragung dieser Entscheidung im aktuellen Prozess gibt. Laut aktuellen Informationen aus dem MICT wurde Richter Meron aus dem Entscheidungsprozess zur Berufung seitens der Staatsanwaltschaft ausgeschlossen mit der Begründung, er habe dies getan, da er selbst einer der Richter ist, die vom Mladić-Prozess ausgeschlossen wurden und das dies „zu einer Perzeption führen könnte, dass es sich um einen Interessenkonflikt handeln könnte“.

Meron hat in seiner Eigenschaft als Präsident des MICT den Richter mit der zweitlängsten Amtszeit, Richter Joseph Chionda Masanche, ernannt, der eine Entscheidung über die Beschwerde der Staatsanwaltschaft zu treffen hat. Dies spricht für die Behauptung, dass das MICT bei derart empfindlichen juristischen Aufgaben – nämlich die Unabhängigkeit und Unbefangenheit der Richter - dringend für eine Definierung der Prozedere sorgen sollte.  

Ins Deutsche übersetzt von Alma Sukić, hbs Sarajevo