An wen dürfen wir uns erinnern?

An wen dürfen wir uns erinnern?

Mnemosyne (griechisch Μνημοσύνη ) war eine Titanin, eine Gestalt der griechischen Mythologie, die die Erinnerung darstellt. Erinnerung im weitesten Sinne, Erinnerung an alles, was gewesen ist, an den Uranfang, an Geburt und Tod, an Mut und Angst. Erinnerung an die Entstehung des Lebens, der Zivilisation und der Kultur: Ananke (griechisch Ἀνάγκη) ist die Personifizierung des unvermeidlichen Schicksals, des Unumgänglichen, dessen, was unweigerlich geschehen muss. Sie ist ein Schlüsselfaktor in der Entstehung des Kosmos.

Einige Tausend Jahre später, nicht so weit entfernt vom Olymp, sind beide mythologischen Gestalten einsam und verlassen in der Sinnlosigkeit der Leugnung und des Schweigens verschwunden. Wenn wir uns einig sind, dass die Würde jedes Menschen unantastbar und das Leben als biologisches Phänomen wertvoll ist, dann treffen wir in der Redaktion des Wochenblattes „Kozarski vijesnik“ nicht auf Gleichgesinnte. Die Weigerung, eine Traueranzeige für 102 getötete Kinder zu veröffentlichen, ist nicht die erste fragwürdige Tat dieser Zeitung; im Gegenteil, es ist nur die konsequente Fortsetzung der Politik dieses Mediums, die ihr Gesicht 1992 verändert hat. Alle, die in den frühen Jahren des letzten Jahrzehnts des vergangenen Jahrhunderts in diesem Teil Bosnien-Herzegowinas (BiH) gelebt haben, kennen die Rolle des Blattes bei der Propaganda und Volksverhetzung nur zu gut. Die Spuren sind gut verwischt, sie können nur im Archiv der Republika Srpska (RS) in Banja Luka gefunden werden – in der Redaktion existieren die Ausgaben aus den Jahren 1992 und 1993 nicht.

Die Stunde der Wahrheit

Die erste Kriegsausgabe des Wochenblattes erschien am 29. Mai 1992 mit der Schlagzeile „Die Stunde der Wahrheit“. Ironischer weise entfernte sich die Wahrheit genau in diesem Moment weit weg von der Zeitung. Viele Theoretiker/innen haben schon über die Propaganda-Maschinerie geschrieben, besonders bezogen auf Zeiten kriegerischer Auseinandersetzungen, ethnischer Säuberungen und Massenverbrechen. Aber, kehren wir zurück ins Jahr 2016, nach Prijedor in der RS und BiH. Konkret zum Mai 2016, um uns besser zu positionieren. Einige Tage vor der Begehung des Internationalen Tages der weißen Bänder am 31. Mai hat Goran Zorić, Geschäftsführer des Jugendzentrums ‘’Kvart’’, einen Antrag auf Veröffentlichung einer Traueranzeige gestellt, in der man der 102 unschuldig getöteten Kinder aus dem Umkreis Prijedors im Laufe der Jahre 1992 und 1993 wegen ihrer vermuteten nationalen und/oder religiösen Zugehörigkeit gedenken wollte. Der Direktor des Informations- und Geschäftszentrums „Kozarski vijesnik“ war nicht zugegen, so dass man Zorić bat, erneut mit diesem Antrag bei der Zeitung vorzusprechen. Auch bei dem zweiten Besuch war der Direktor nicht anwesend, so dass eine Veröffentlichung der Traueranzeige völlig ausblieb.

Auf unsere Beschwerde bei der Ombudsmann-Einrichtung für Menschenrechte antwortete Zoran Sovilj, Direktor des Informations- und Geschäftszentrums „Kozarski vijesnik“, indem er die erwähnte Traueranzeige mit Todesanzeigen, die falsche Angaben und Namen noch lebender Personen beinhalteten, verglich. Einen solchen Kommentar muss jede vernünftige Person schon aufgrund einer formalen Logik als völlig inakzeptabel von sich weisen. Niederschmetternd ist die Tatsache, dass der Direktor eines Mediums nicht einmal das Gesetz über öffentliche Informationen der RS kennt, das explizit die Zensur in der Presse und anderen Medien verbietet, wie es im Übrigen auch die Verfassung der RS tut.  

Die ist leider nicht das einzige oder schlimmste Beispiel der Diskriminierung der Opfer von ethnischen Säuberungen in Prijedor, aber es ist der Beweis einer fortwährenden Leugnungspolitik, Ignoranz und passiv-aggressiver Tötung, Vertreibung, Erniedrigung und Diskriminierung.

Mythenbildung

Heute ist klar, dass die Republika Srpska auf der Leugnung und der Manipulation von Verbrechen beruht. Die RS manipuliert Verbrechen begangen an Bosniaken, Kroaten aber auch Serben, zu tagespolitischen Zwecken und Mythenbildung, die der kriminellen Regierung als politische Plattform dient. Während man über die Opfer der ethischen Säuberung der Neunziger Jahre schweigt, hält man für die Opfer des Pogroms im Zweiten Weltkrieg religiöse Zeremonien ab, auch wenn die ganze Bewegung kommunistisch und somit automatisch atheistisch war. Der  ‘’Kozarski vjesnik’’ ist leider nur ein weiteres Glied eines Systems, das unerbittlich vor der Wahrheit davon läuft, sich dabei auf die Perpetuierung des Verbrechens stützt, indem es die Massenmorde mit vorher (an ihnen) begangenen Massenmorden rechtfertigt. Mit einer solchen Haltung eröffnet die Regierung und das gesamte System der RS Raum für eine weitere zyklische Bewegung der Geschichte in ihrer dunkelsten Form. Wir kommen dabei zu dem Schluss, dass die Regierung inkompetent, verantwortungslos und sehr egoistisch ist. 

Mnemosyne (griechisch Μνημοσύνη ) war eine Titanin, eine Gestalt der griechischen Mythologie, die die Erinnerung darstellt. Erinnerung im weitesten Sinne, Erinnerung an alles, was gewesen ist, an den Uranfang, an Geburt und Tod, an Mut und Angst. Erinnerung an die Entstehung des Lebens, der Zivilisation und der Kultur: Ananke (griechisch Ἀνάγκη) ist die Personifizierung des unvermeidlichen Schicksals, des Unumgänglichen, dessen, was unweigerlich geschehen muss. Sie ist ein Schlüsselfaktor in der Entstehung des Kosmos.

Der altgriechischen Mythologie nach sind Mnemosyne und Ananke unerbittlich, sie sind eine Quelle der Vergangenheit und der Pfad der Gegenwart im zeitlichen Kontinuum. Jede Person, Institution oder Medium, das egal auf welche Weise am Verbrechen selbst beteiligt ist oder es vertuscht, bleibt auf der dunklen Seite der Geschichte. Jede Person, die wegen ihrer eigenen Interessen die Toten und deren überlebende Angehörige diskriminiert, ist Mittäter. Kategorische Imperative in jeglicher Form zu ignorieren bedeutet Verrat an den grundlegenden Prinzipien des Humanismus.

Ein Schritt in Richtung Dialog

Die Manipulation des Rechts auf medialen Raum indikativ, sie ist Aktion und Reaktion im provinziellen Sinne eines kleinbürgerlichen Geistes. Als solche eröffnet sie natürlich auch die Frage nach der Gleichheit aller Bürgerinnen und Bürger. Das allgemeine Schweigen wirkt sich dadurch auf den Alltag, die Rechte und letztlich auch auf die Gewohnheiten aus. Die Verweigerung des medialen Raums für die toten Kinder von Prijedor erscheint als ein Schritt in Richtung eines Dialogs, egal wie sehr er durch Nationalismus, latentem Hass und der Leugnung der brutalsten Verbrechen, die der Menschheit bekannt sind, geprägt ist.  

Am Ende drängt sich die Frage auf: An wen dürfen wir uns in Prijedor in der Republika Srpska, und letzten Endes in Bosnien-Herzegowina erinnern? Wer sind die gleichberechtigten Bürgerinnen und Bürger? Wer sind die „Anderen“, und warum sind sie „anders“? Ist ein Verbrechen ein Verbrechen, ungeachtet dessen, wer Opfer und wer Täter ist?

Zu der Rolle des ‘’Kozarski vijesnik’’ in der verbrecherischen Propaganda empfehle ich Texte der Journalistin Paulina Janusz, die vor Ort Fakten über die damaligen und heutigen Mitarbeiter/innen dieses Blattes recherchiert hat.  

 

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