Verantwortliche Demokratie: Der Reichtum Afghanistans an Bodenschätzen birgt großes Konfliktpotential. Seit 2012 bewegt sich die Heinrich-Böll-Stiftung deshalb ganz bewusst auf diesem politisch brisanten Terrain.
Die Landkarte von Afghanistan sieht aus, als hätte sie jemand mit vielen bunten Aufklebern verziert: schwarze Tröpfchen, grüne Kreise, weiße Sternchen und gelbe Sechsecke sind quer über das ganze Land verteilt. Öl, Lithium, Kupfer, Edelsteine, Gold, sagt die Kartenlegende – und das ist nur ein kleiner Teil der aufgelisteten Bodenschätze. Aufgrund der starken Reduzierung der internationalen Unterstützung birgt diese Karte für viele ein großes Versprechen.
Der genuin politische Charakter der Ressourcenfrage wird dabei verkannt, die Verbindung zwischen Ressourcenabbau und lokalen Konflikten verschwiegen. Seit Anfang 2012 bewegt sich die Heinrich-Böll-Stiftung deshalb ganz bewusst auf diesem politisch brisanten Terrain: lokal, national und international. Eine Veranstaltung in Kabul im Juli 2012 brach das vorsichtige Schweigen zu Ressourcenkonflikten und mündete in der Gründung eines Umweltnetzwerkes, des Environment and Natural Resources Monitoring Network (ENRMN) (http://www.enrmn.net/en/). „Auch wenn das Umweltnetzwerk am Anfang ganz schön klein war“, erklärt Neelab Hakim, Umweltkoordinatorin des Büros der Heinrich-Böll-Stiftung in Kabul, „wir waren alle von Anfang an mit großem Enthusiasmus dabei“. Inzwischen zählt das Netzwerk über fünfzig Mitglieder und ist auch für Regierungsbehörden zum wichtigen Ansprechpartner avanciert.
In der Provinz Logar, rund 35 km südwestlich von Kabul, wo eines der weltweit größten Kupfervorkommen vermutet wird, war 2008 hinter verschlossenen Türen ein Bergbauvertrag zwischen der afghanischen Regierung und einem chinesischen Konsortium abgeschlossen worden. „Die meisten Menschen erfuhren erst aus den Medien, dass sie umgesiedelt und entschädigt werden sollten“, erklärt Mussa Mahmoodi, Vorsitzender der Logar Civil Society Association. Inzwischen sind bereits fünf Dörfer umgesiedelt worden, Kompensationen wurden allerdings noch kaum ausgezahlt.
Für viele der Dorfbewohnerinnen und -bewohner bedeutete die Umsiedlung eine persönliche Katastrophe.
Neben dem Verlust von Haus und Land wurden ganze Dorfgemeinschaften zerrissen. Vor allem für Frauen bedeutete die Umsiedelung das Aufbrechen sozialer Strukturen und mühsam erkämpfter Freiräume. „Vor der Umsiedlung konnten wir problemlos Feste wie Beerdigungen und Hochzeiten in unseren Nachbardörfern besuchen. Jetzt ist es nicht mehr möglich, unsere Nachbardörfer zu Fuß zu erreichen“ sagt eine Dorfbewohnerin. Auch das Versprechen von Arbeitsplätzen für Mitglieder der umliegenden Gemeinden, stellt Mussa Mahmoodi ernüchtert fest, sei bisher nicht eingehalten worden.
Mussas sorgenvolle Besuche im Kabuler Büro bewegten die Heinrich-Böll-Stiftung zu einem ersten Umwelttraining in Logar. „Eine der Teilnehmenden erklärte mir, das sei das erste Mal seit der vor zwölf Jahren begonnenen internationalen Unterstützung, dass internationale Organisationen nicht einfach nur kommen, um über sie zu forschen, sondern um wichtiges Wissen mit ihnen zu teilen“, so Neelab Hakim.
Unter Beteiligung des Umweltnetzwerkes fanden ähnliche Trainings mittlerweile in fünf verschiedenen Provinzen statt. Auch hier wurden die Folgen für die lokale Bevölkerung deutlich: Niemand kümmerte, dass betroffene Gemeinden durch Zwangsumsiedlungen ihre gesamte Lebensgrundlage verloren, dass es kein Weideland mehr für ihre Tiere gibt und dass aufgrund der Projekte die Gräber ihrer Verwandten umgebettet werden. Gleichzeitig war in allen Provinzen kurz nach der Erschließung von Kupfer, Eisenerz, Kohle, Gas oder Öl ein Anstieg gewalttätiger Aktivitäten bewaffneter regierungsfeindlicher Gruppen sichtbar. Langfristiges Ziel der Trainings war, die Teilnehmenden zu befähigen, hinterher in Eigeninitiative ihre Situation dokumentieren, kommunizieren und dadurch ihre Rechte einfordern zu können.
Parallel dazu fand unter der Begleitung der Stiftung ein sogenannter Lobbyprozess statt. Das gemeinsam mit dem Umweltnetzwerk und einer Gruppe internationaler Akteure erarbeitete Ergebnis war ein Forderungskatalog, der u.a. öffentliche Konsultationen und transparentere Verträge bei der Rohstofferschließung sowie die Einhaltung internationaler Standards zur Umwelt- und Sozialverträglichkeit verlangt. Auf der Geberkonferenz in Tokyo in 2012 feierte die zivilgesellschaftliche Initiative einen ersten bedeutenden Erfolg: Im „Mutual Accountability Framework“, der die Zusage von insgesamt 16 Milliarden US-Dollar an Hilfsgeldern von der Einhaltung bestimmter Konditionen abhängig macht, wurde eine Klausel aufgenommen, die vorsieht, dass für den Abbau natürlicher Rohstoffe zuerst gesetzliche Rahmenbedingungen verabschiedet werden müssen. Als ein Indikator für die Umsetzung dieser Rahmenbedingungen wurde die Beteiligung der lokalen Bevölkerung an Vergabeentscheidungen mit aufgenommen.
Erfreut über diesen Erfolg begann das Umweltnetzwerk mit einer Vielzahl von Kampagnen. Als 2014 schließlich das neue Bergbaugesetz verabschiedet werden sollte, entschlossen sich die Mitglieder des Netzwerks zu einer großen Demonstration vor dem afghanischen Parlament, um auf die eklatanten Mängel der Gesetzesvorlage und die daraus entstehenden Benachteiligungen für die afghanische Bevölkerung aufmerksam zu machen. Nach und nach gesellten sich auch immer mehr Abgeordnete zu der zivilgesellschaftlichen Gruppe. Schließlich gelang es, die Unterzeichnung der Vorlage durch den damaligen Präsident Karzai zu verhindern und stattdessen eine Überarbeitung des Gesetzestextes zu erwirken.
Dieser Beitrag ist Teil unseres Dossiers "Für Demokratie - Vom Engagement der Heinrich-Böll-Stiftung in der Welt" und wurde im Rahmen der gleichnamigen Publikation erstellt.