Aufgrund mangelnder Infrastruktur und Vorsorge leben Flüchtlinge in Bosnien und Herzegowina unter menschenrechtsverletzenden Bedingungen. Die Kommissarin für Menschenrechte im Europarat nimmt die Regierung in die Pflicht.
Bereits mehr als 8.000 Menschen sind seit Anfang des Jahres 2018 nach Bosnien und Herzegowina (BiH) eingereist, täglich werden es mehr. Sie kommen aus Richtung Serbien oder Montenegro, nachdem sie auf dem See- oder Landweg zuerst Griechenland erreicht haben. Nur für einige Hundert, die registriert sind, gibt es eine angemessene Unterkunft. Die Übrigen leben auf der Straße, in Notunterkünften, während die Glücklicheren unter ihnen von der lokalen Bevölkerung aufgenommen werden oder in Hotels und Hostels wohnen.
Die meisten Durchreisenden, die in Bosnien und Herzegowina stranden, sind auf dem Weg in die Europäische Union. Sie hoffen, über die kroatische Landesgrenze ihren Weg fortsetzen zu können. Allerdings werden sie von den kroatischen und sogar den slowenischen Behörden daran gehindert, oft mit Gewalt. Dennoch schaffen es einige in die EU, die meisten bleiben jedoch in Bosnien und Herzegowina.
Bürger/innen müssen Aufgabe des Staates übernehmen
Am Sonntag, den 16. Juli wurde das Gebiet um Velika Kladuša im Norden Bosniens, das in der Nähe der Grenze zu Kroatien liegt, von einem schweren Sturm überrascht. Für etwa 400 Flücht-linge und Migrant/innen, die in einem sumpfigen Gebiet nahe der Stadt untergebracht waren, war dies der reinste Albtraum.
Das Bare-Gebiet in Kladuša wurde einige Monate zuvor von der Gemeindeverwaltung zum Flüchtlingscamp bestimmt; einer Sammelstelle für die Menschen, die seit Februar 2018 in der Stadt ankommen. Sowohl die lokale als auch andere Regierungsebenen Bosniens (und derer gibt es drei) haben Kenntnis davon, genauso wie internationale Organisationen wie das UN-Flüchtlingshilfswerk (UNHCR) oder die Internationale Organisation für Migration (IOM). Dennoch wurde nicht viel unternommen, um menschenwürdigere Lebensumstände zu schaffen und selbst das Wenige wurde initiiert von der lokalen Bevölkerung und Aktivist/innen, die seit April vor Ort sind.
In Kladuša, wo derzeit etwa 1.000 Flüchtlinge leben, trägt die Zivilbevölkerung die größte Last: Die Bürger/innen bereiten Mahlzeiten für die Menschen zu, bieten ihnen Unterkünfte und zeigen ihre Gastfreundschaft auf bestmögliche Weise. Aber sie können nicht alles alleine bewältigen und sollten es auch nicht, doch die Institutionen reagieren kaum.
In dem sumpfigen Gebiet am Stadtrand wurden zwar mobile Toiletten aufgestellt, aber nicht genügend an der Zahl. Hinzu kommt, dass oft nur eine davon in Funktion ist. Elektrizität ist nur zur Außenbeleuchtung vorhanden, Trinkwasseranlagen und Duschen wurden bereitgestellt, aber da sich alle sanitären Anlagen wegen der Beschaffenheit des Terrains am Rande des „Camps“ befinden, sind Duschen und Toiletten nicht sicher für die Bewohner/innen, unter denen sich viele Frauen und allein reisende Minderjährige befinden.
Einige Zelte wurden zur Verfügung gestellt, aber die meisten Unterkünfte, die Aktivist/innen gemeinsam mit den Campbewohner/innen aufgebaut haben, sind aus Plastikplanen und Latten. Nach einer Weile haben die Aktivist/innen getrennte Duschen für Frauen und Männer in einem verlassenen Gebäude errichtet, das ihnen von der lokalen Bevölkerung zur Verfügung gestellt wurde. Dort ist es sicher und sauber, zudem kann dort Wäsche gewaschen werden.
An heißen Tagen ist das sumpfige Gebiet voller Mücken und anderer Insekten. Es gibt kaum Schatten und unter den Plastikplanen kann man kaum atmen. Regen bedeutet eine kleine Katastrophe. Aber am Sturmsonntag führte der Regen in ein regelrechtes Desaster, das nur zu deutlich machte, wie vernachlässigt diese ungeschützte Gruppe von Menschen ist, die unter diesen unerträglichen Bedingungen ausharren muss.
Während der Wind fast alle „Zelte“ zerstörte, durchnässte der Regen die Habe der Campbewohner/innen: Am nächsten Morgen waren Decken, Kleidung, Schuhe, Lebensmittel und Matratzen im ganzen Camp verstreut, während die Bewohner/innen durch knietiefen Schlamm wateten.
Sicherheit statt Solidarität
Am gleichen Morgen befahl das Amt für Ausländerangelegenheiten, das als Teil des Ministeriums für Sicherheit seltsamerweise alleinig für Flüchtlings- und Migrationsfragen zuständig ist, die Zwangsräumung einer Notunterkunft, in der etwa 200 Menschen lebten. Die Räumung erfolgte friedlich, und die Menschen wurden aus dem alten, verlassenen Gebäude am Fluss fortgeschickt, ohne dass man ihnen mitteilte, wohin sie gehen sollten. So landeten viele von ihnen im „Camp“, das vom lokalen Roten Kreuz in dem Gebäude Đački Dom organisiert wird und das von der Regierung als Unterkunft für Asylsuchende freigegeben wurde.
Đački Dom ist ein Gebäude, dass jeglicher Sicherheit entbehrt. Es hat kein Dach, keine Fenster und Türen, es ist praktisch ein Rohbau mit Treppen und Öffnungen, die für Fenster und Türen vorgesehen waren. Dort gibt es nichts davon. Beinahe 1.000 Menschen befinden sich darin und es wird offiziell als Flüchtlingscamp deklariert. Die Regierung und auch die internationalen Organisationen in Bosnien haben Kenntnis von diesem Ort.
Unter den Menschen, die dort leben müssen, sind etwa 40 Familien, einige mit Kleinkindern. Im Gebäude gibt es kein Wasser - es sei denn, es regnet und alle Matratzen auf dem Boden werden durchnässt. Einige haben kleine Zelte. Toiletten und Duschen befinden sich außerhalb des Gebäudes und sind sehr unsicher für Frauen. Eine hohe Präsenz von Spezialkräften der Polizei ist überall sichtbar, jedoch aufgrund der paranoiden Berichterstattung der Medien und nicht etwa wegen der wirklichen Probleme der dort lebenden Menschen.
Manche leben in Zelten und Notunterkünften in den umliegenden Wäldern. Alles was sie bekommen, ist eine suppenartige Mahlzeit, die das Rote Kreuz einmal am Tag verteilt. Menschenwürdige Bedingungen sucht man an diesem Ort vergeblich.
Appell an die Menschlichkeit
Neben Kladuša und Bihać lassen sich die Durchreisenden auch in Mostar nieder, wo im Mai dieses Jahres das einzige einigermaßen anständige Camp Salakovac eröffnet wurde. Allerdings sind dort nicht einmal 150 Personen untergebracht. In der Nähe von Sarajevo, etwa 12 km von der Gemeinde Trnovo entfernt, liegt das Asylzentrum Delijaš. Die Menschen akzeptieren nur ungern eine Unterbringung dort, weil es sehr weit vom Zentrum entfernt liegt und es weder Transportmöglichkeiten noch Internet oder Telefonverbindungen nach außen gibt. Auch Nahrungsmittel sind knapp.
Viele der Campbewohner/innen beklagen sich über die Angestellten dort, insbesondere über das Management. Kürzlich erst hat die für das Camp verantwortliche Person zwei junge Flüchtlinge, von denen einer ernsthaft verletzt war, des Camps verwiesen, ohne eine schriftliche Genehmigung oder zumindest Rücksprache beim Ministerium einzuholen. Nachdem die jungen Männer das Camp verlassen hatten, bekamen sie vom UNHCR keine Unterstützung mehr, obwohl sie von den jungen Männern darum gebeten wurden. Das Ministerium wurde ebenfalls informiert, aber auch von dieser Seite gab es keine Hilfe. Die einzige Unterstützung fanden sie bei den Aktivist/innen, die den verletzten Mann noch in der gleichen Nacht in ein Krankenhaus brachten, wo er die nächsten 10 Tage medizinisch versorgt werden musste.
Die dritte offizielle Unterkunft ist ein gefängnisartiges Migrationszentrum in der Gemeinde Lukavac. Es gab zahlreiche Beschwerden der Insassen über schlechte Behandlung, Korruption und Gewaltanwendungen. Die Aktivist/innen wurden von den Geflüchteten auch darüber informiert, dass Minderjährige ohne Begleitperson dort festgehalten würden.
Regierung und größere Organisationen, die sich mit Geflüchteten und Migrant/innen in Bosnien und Herzegowina beschäftigen, arbeiten mit einer kleinen Zahl von lokalen Organisationen der Zivilgesellschaft zusammen. Eine dieser Organisationen, Emmaus, die ein Zentrum in Doboj-Süd leitet, leistet seit Jahren erfolgreich Hilfe für verschiedene Gruppen in Not. Allerdings haben sie mit Geflüchteten oder Migrant/innen keine Erfahrungen. Hinzu kommt, dass das Zentrum geschlossenen Typs ist und Menschen, die darin Unterschlupf finden, das Gebäude nicht mehr verlassen können, limitierten Zugang zu WiFi-Verbindung haben und den Mitarbeiter/innen ihre Ausweise übergeben müssen. Bei solchen Zentren geschlossenen Typs ist es sehr schwer, wenn nicht unmöglich, Informationen über die dort herrschenden Zustände zu bekommen.
Minderjährige ohne Begleitung sind hier untergebracht und haben keine Bewegungsfreiheit. Aus diesem Grund vermeiden es viele, sich bei ihrer Ankunft in Bosnien registrieren zu lassen oder machen falsche Angaben über ihr Alter. Mehr als 150 Minderjährige und Kinder ohne Begleitperson sind offiziell registriert.
IOM und UNHCR sowie einige andere Organisationen sind sich der Bedingungen an all diesen Orten, einschließlich Bihać und Kladuša, bewusst, schweigen aber, wenn es darum geht, die Verantwortlichen zu kritisieren.
Nach dem Sturm in Kladuša verfasste eine Gruppe lokaler Aktivist/innen und NGOs einen Appell an die zuständigen Behörden in BiH, die Europäische Union, das UNHCR, IOM und andere relevante Organisationen und Institutionen, „dringend für eine angemessene und menschenwürdige Unterbringung für alle Migrant/innen und Flüchtlinge zu sorgen, die sich auf dem Territorium des Staates BiH aufhalten, und volle logistische und finanzielle Hilfe für die lokalen Behörden und Aktivist/innen vor Ort zu gewährleisten“.
Menschenrechte in der Warteschleife
Bosnien und Herzegowina hat zwar ein Ministerium für Flüchtlinge und Menschenrechte auf staatlicher Ebene, ist jedoch kaum in die ganze Situation involviert. Die Verantwortlichen reden sich damit heraus, dass sie nur für Personen mit Flüchtlingsstatus zuständig sind, wobei sie jedoch ihre Verpflichtung im Bereich der Menschenrechte ignorieren.
Gleichzeitig unternimmt die Regierung nicht genug, den Menschen, die sich in Bosnien aufhalten, eine Regulierung ihres Status zu ermöglichen. Offiziell haben etwa 600 Personen Asyl beantragt, bis dato ist kein einziger Antrag bewilligt. In Wahrheit ist der Zugang zum System so kompliziert, dass es für viele fast unmöglich ist, ein Verfahren einzuleiten. Viele verzichten gänzlich darauf. Hinzu kommt, dass sie nicht wissen, welche Rechte sie bei einer erfolgreichen Regulierung ihres Status haben. Und sie sind nach den negativen Erfahrungen des Umgangs mit ihnen überdies sehr misstrauisch gegenüber der Regierung.
Im Mai hat die Kommissarin für Menschenrechte im Europarat, Dunja Mijatović, einen offenen Brief an die Regierung in Sarajevo und den Minister für Sicherheit Dragan Mektić verfasst und sie daran erinnert, dass Asylanträge von Menschen, die in BiH ankommen, „fair und effektiv bemessen werden müssen“.
“Desweiteren sind die Verpflichtungen Bosnien und Herzegowinas hinsichtlich der Menschenrechte nicht auf Personen beschränkt, die einen Antrag auf Schutz gestellt haben“, schreibt Mijatović und fügt hinzu, dass „durch die European Social Charter ein Minimum an Garantie für Unterbringung und Notunterkunft auch für illegale Migrant/innen Geltung haben. Obdach muss auch gegeben werden, wenn Migrant/innen den Antrag gestellt haben, das Land zu verlassen oder keinen Antrag auf Langzeitunterbringung gestellt haben. Das Komitee hebt deutlich hervor, dass das Recht auf Zuflucht eng verbunden ist mit der Würde eines Menschen, ungeachtet seines Aufenthaltsstatus“.
Sie erwähnte eine Reihe von Verpflichtungen, aber der Inhalt des Briefes erreichte wenig bis gar keine öffentliche Aufmerksamkeit in Bosnien. Er schaffte es auch kaum in die bosnischen Medien, die seit Eintreffen der Asylsuchenden wieder in ihre alten Muster verfielen und sich bei ihrer Berichterstattung vermehrt einer Hasssprache bedienten, die sie während und nach dem Krieg perfektioniert haben - diesmal jedoch gegen eine neue Gruppe von Menschen.
Die Auflistung aller Probleme, mit denen die Durchreisenden in Bosnien konfrontiert werden, könnte endlos fortgesetzt werden. Leider gibt es keine lokalen Organisationen, die in der Lage wären, sich für deren Rechte einzusetzen. Die Zivilgesellschaft wurde im Laufe der Jahre immer schwächer, mit immer weniger Erfolgen in ihrer Arbeit. Auch die Religionsgemeinschaften weigern sich, auf wirkungsvolle Weise Hilfe zu leisten. Das Gesundheitssystem bietet nur die nötigste Versorgung für die Bedürftigsten und die Probleme nehmen von Tag zu Tag zu. Niemand spricht davon, die Kinder in das Bildungssystem zu integrieren, obwohl das neue Schuljahr bald beginnt; niemand spricht von langfristigen Lösungen für jene, die hier bleiben wollen; niemand spricht von irgendeiner Art der Integration…
Aktivist/innen und die lokale Bevölkerung sind sehr engagiert, denen zu helfen, die Hilfe brauchen, aber ihre Hilfe ist eingeschränkt und die Notwendigkeit, dass die Verantwortlichen endlich ihre Arbeit gemäß internationaler Konventionen und Menschenrechtsstandards machen, ist enorm.
Ins Deutsche übersetzt von Alma Sukić.