Analysiert man die Werte der Messstation BKC in Tuzla der letzten fünf Jahre, ist eine Erhöhung der SO2-Konzentration und der Anzahl der Überschreitung der Grenzwerte pro Stunde von 350 μg/m3 zu verzeichnen. 2012 wurde 143 Mal eine Grenzwertüberschreitungen pro Stunde gemessen, 2016 an 704 Stunden.
Dabei dürften die Werte normalerweise höchstens 24 Mal im Laufe eines Kalenderjahres überschritten werden. Informationen über die schädlichen Auswirkungen auf die Gesundheit und Folgeerkrankungen, die mit der enormen Luftverschmutzung in Verbindung gebracht werden können, werden indes nicht in die Öffentlichkeit getragen. Laut den wenigen öffentlich vorliegenden Informationen aus der Klinik für Lungen- und Atemwegerkrankungen in Tuzla, musste im Laufe des Winters ein Notdienst eingerichtet werden, um alle Patienten aufnehmen zu können. Eine Untersuchung der Klinik belegt, dass die Zahl der an Lungenkrebs erkrankten Menschen jedes Jahr zunimmt.
Luftverschmutzung
Immer mehr Opfer
Berichten der Weltgesundheitsorganisation (WHO) aus 2016 zufolge steht Tuzla an zweiter Stelle der schmutzigsten Städte in Europa, und Bosnien-Herzegowina (BiH) teilt sich mit Armenien den 5./6. Platz der Todesopfer pro 100.000 Einwohner/innen als Folge der Luftverschmutzung (92 Tote auf 100.000 Einwohner/innen). Die WHO warnt davor, dass etwa 7 Mio. Menschen weltweit an den Folgen von Luftverschmutzung sterben. Auch die Auswirkungen der Luftverschmutzung auf Kinder hat sie analysiert und mahnt, dass etwa 570.000 Todesfälle bei Kindern unter fünf Jahren auf Luftverschmutzung zurückzuführen sind. Außerdem weist sie darauf hin, dass Luftverschmutzung sich negativ auf die Entwicklung des Gehirns bei Kindern auswirken und die Lungenfunktion mindern sowie Asthma hervorrufen kann. Luftverschmutzung kann langfristige Auswirkungen haben, wie etwa: Krebs, chronische Atemwegerkrankungen, Herz-Kreislauf-Erkrankungen, Schlaganfall usw. Fast eine Million Kinder sterben jährlich an Lungenentzündung, die Hälfte davon steht in Zusammenhang mit Luftverschmutzung.
In BiH gibt es ein relativ kleines Netz an Vorrichtungen zur Messung emissionsbedingter Luftverschmutzung in einzelnen Städten und Gemeinden. Laut Analyse der Messungsergebnisse stellen erhöhte Schwefeldioxid-Konzentrationen (SO2) und Feinstaub (PM2,5 und PM10) ein besonderes Problem dar. Für das Schwefeldioxid gibt es einen Grenzwert pro Tag und pro Stunde, und auch die Grenzwerte für vereinzelte Episoden sind definiert. Beim Feinstaub wird es schon problematischer, da nur ein Jahresgrenzwert und für PM10 ein Tagesgrenzwert festgelegt wurde. Tagesgrenzwerte für PM2,5 und Grenzwerte für die Ausrufung von Smog-Episoden für beide Partikel-Größen gibt es nicht. Aus diesem Grund unterliegen die Bürger/innen dem Irrtum, die Luft sei sauber, diese hat aber um ein Hundertfaches den von der WHO empfohlenen Grenzwert an Feinstaubemissionen überschritten.
Wie verschmutzt ist die Luft in BiH?
Durch das Monitoring der Luftqualität in BiH wird deutlich, dass die Luftverschmutzung in Tuzla, Lukavac, Zenica, Sarajevo und Živinice am größten ist. Wahrscheinlich sind noch mehr Städte in BiH betroffen, aber dort gibt es kein Monitoring der Luftqualität, so dass nicht zweifelsfrei behauptet werden kann, dass und in welchem Ausmaß die Luft verschmutzt ist.
Am größten ist die Luftverschmutzung in BiH während der Wintermonate von Anfang November bis Ende Februar. Symptomatisch dabei ist, dass sich mit diesem Problem mehr die Bürger/innen, vereint in formellen und informellen Gruppen, auseinander setzen als die Regierung, in deren Zuständigkeit dies immerhin liegt. Wenn dann die internationalen Institutionen auf das Problem aufmerksam machen, wird es abgestritten und fragen, wann die Messgeräte zuletzt geeicht wurden, wer sie wartet, wo sie aufgestellt sind usw., anstatt sich ein Bild von der Lage zu machen und dementsprechende Maßnahmen für eine kurz- und langfristige Minderung der Luftverschmutzung und dem Schutz der Gesundheit der Bürger/innen einzuleiten.
Abb.1 Tuzla
Abb 2.Lukavac
Bei der Analyse der Monitoring-Ergebnisse der Luftqualität in Tuzla für einzelne Monate in 2016 wird ein Wachstum der durchschnittlichen SO2-Konzentration von September bis Mai deutlich. Der durchschnittliche Jahreswert an SO2 im Jahr 2016 betrug 95 μg/m3, ein angestrebter Wert liegt bei 50 μg/m3.
Abb. 3 - Durchschnittswerte pro Monat an SO2 in 2016 an der Messstation BKC in Tuzla. Creator: Vlada TK. Ova slika je pod Creative Commons License licencom
Im Dezember 2016 betrug der Durchschnittswert der SO2-Konzentration an der Messstation BKC 204 μg/m3. Nur in diesem Monat wurde der Tagesgrenzwert von 125 μg/m3 ganze 26 Mal überschritten, dabei ist eine Überschreitung in einem Kalenderjahr nur höchstens 3 Mal erlaubt.
Abb. 4 - Grafik der Tageskonzentration an SO2 an den Messstationen BKC und Skver in Tuzla. Creator: Vlada TK. CC-BY-NC-SA
Es ist einfacher, das Problem der Luftverschmutzung abzustreiten, als es zuzugeben und dann lösen zu müssen
Eine Analyse der Monitoring-Ergebnisse der letzten fünf Jahre der Messstation BKC in Tuzla hat einen Anstieg der SO2-Konzentrationen und der Anzahl der Stunden, in denen die Grenzwerte von 350 μg/m3 überschritten wurden, gezeigt.
2012 waren es 143 Überschreitungen pro Stunde, und 2016 ganze 704. Im Laufe eines Kalenderjahres dürfte der Höchstwert maximal 24 Mal überschritten werden.
Abb. 5 - Übersicht der Anzahl von Stunden-Grenzwerten für SO2 in 2012, 2013, 2014, 2015 und 2016 an der Messstation BKC Tuzla. Creator: MS BKC Tuzla. CC-BY-NC-SA
Aufgrund der Überschreitungen der Höchstwerte pro Stunde und dem Plan für Interventionsmaßnahmen müssten die zuständigen Institutionen verschiedene Episoden ausrufen und dringend an der Minderung der schädlichen Emissionen arbeiten, mit dem Ziel einer saubereren Luft und besseren Bedingungen für die Gesundheit der Menschen. Doch trotz der hohen SO2-Konzentrationen und der großen Zahl an Grenzwertüberschreitungen pro Stunde, Tag und Jahr bleibt eine adäquate Reaktion der zuständigen Institutionen aus.
Ähnlich verhält es sich auch mit den hohen Feinstaubkonzentrationen in BiH. Im Tuzla Kanton zum Beispiel wird an den Messstationen Feinstaub PM2,5 gemessen. Da für diese Feinstaubfraktion eine Höchstgrenze von 25 μg/m3 pro Jahr empfohlen wurde, wir diese von Jahr zu Jahr überschritten. In der folgenden Grafik werden die Tageskonzentrationen an PM2,5 von allen Messstationen im Tuzla Kanton für Januar 2017 dargestellt.
Abb. 6. PM2,5-Werte im Januar, Messstation im TK 2017. http.vladatk.kim.ba/izvjestaj-o-kvalitetu-zraka. Creator: Vlada TK. CC-BY-NC-SA
Bei einem von der WHO empfohlenen PM2,5-Tageshöchstwert von 10 μg/m3 wird deutlich, dass die im Januar 2017 gemessenen Werte sehr hoch waren. Da keine definierten Werte für das Ausrufen von Episoden vorliegen, haben die zuständigen Ämter auch nichts unternommen. Zum Vergleich: In Paris sind die Immissionsgrenzwerte definiert und laut den geltenden Verordnungen würde bei einer Tageskonzentration von 90 μg/m3 an PM2,5 bereits Alarm ausgelöst werden. Hätte BiH eine solche Verordnung, würde von November bis Ende Februar häufig Alarm ausgelöst werden. Aber die zuständigen Ämter in BiH meiden eine Festlegung dieser Grenzwerte, da sie dann ein vorhandenes Problem eingestehen und im Sinne einer Lösung handeln müssten. Deswegen sind die Bürger/innen jedoch einem großen gesundheitlichen Risiko ausgesetzt.
Warum schweigen die Gesundheitsexpert/innen?
Ein zusätzliches Problem stellt die Passivität der Gesundheitsexpert/innen dar, auch wenn bestimmte Institutionen aus dem Bereich der Gesundheit gesetzlich dazu verpflichtet, sich mit dem Problem auseinander zu setzen. Es fehlen umfassende Studien, Untersuchungen und Indikatoren über den allgemeinen Gesundheitszustand der Bevölkerung aus den besonders gefährdeten Gebieten und darüber, wie groß die tatsächlichen Auswirkungen auf die Gesundheit der Menschen sind. Indem man versucht, den tatsächlichen Gesundheitszustand der Bevölkerung und den Grad der Luftverschmutzung zu verbergen, entsteht der Eindruck, man wolle die Existenz des Problems an sich vertuschen. Daher wäre eine Einbeziehung internationaler Organisationen und Institutionen in das Öffentlich machen der Problematik wichtig und unentbehrlich.
Laut den wenigen öffentlichen Informationen wurden allein im Dezember 2016 von der Klinik für Lungen- und Atemwegerkrankungen in Tuzla 16.197 Leistungen erbracht, wovon 751 Personen stationär aufgenommen werden mussten. Der Leiter der Klinik, Suvad Dedić, hob in den Medien hervor, dass in den Wintermonaten Notdienste eingerichtet werden, um alle hilfesuchenden Patienten aufnehmen zu können und das es an Betten in der Klinik mangelt.
Eine Untersuchung der Klinik belegt, dass die Zahl der an Lungenkrebs erkrankten Menschen jedes Jahr zunimmt. Allein in 2016 wurden in der Klinik 286 Fälle von Neuerkrankungen evidentiert. Andere gesundheitliche Probleme und und Erkrankungen, die auf Luftverschmutzung zurückzuführen sind, wurden nicht in die Öffentlichkeit getragen. Die Abb. 5 zeigt die Zahlen der in den vergangenen drei Jahren an Lungenkrebs erkrankten Menschen.
Die Zahl der an Lungenkrebs erkrankten, Klinik für Lungen- und Atemwegerkrankungen in Tuzla Creator: CeeTz. Dieses Bild steht unter einer Creative Commons License
Laut Informationen des Standesamtes in Tuzla ist ein Wachstum der Sterberate in den letzten drei Jahren zu verzeichnen. Am 13.1.2017 starben in Tuzla 50 Personen. Diese Information rief jedoch keinerlei Reaktion der zuständigen Ämter hervor, auch wenn durchschnittlich etwa drei Personen sterben. Zum Vergleich eine Darstellung der Todesfälle im Monat Januar der letzten drei Jahre auf Abb. 6
Zahl der Todesfälle im Monat Januar der letzten drei Jahre. Creator: CeeTz. Dieses Bild steht unter einer Creative Commons License
Wer verschmutzt die Luft, und in welchem Ausmaß?
Darüber, wer und in welchem Ausmaß die Luft in BiH verschmutzt, gibt es keine relevanten Untersuchungen, die jedoch notwendig sind, um kurz- und langfristige Maßnahmen für eine geringere Luftverschmutzung einzuleiten. Laut einer Untersuchung des Zentrums für Ökologie und Energie in Tuzla hat allein das Kohlekraftwerk Tuzla im Jahre 2013 einen Schaden für die Gesundheit der Bürger/innen in Höhe von 99 Mio. Euro verursacht.
Die Energiegenossenschaft hat ihre Einschätzungen auf die gesamte Umwelt ausgeweitet und sie schätzt die Schäden an der Umwelt, verursacht durch das Kohlekraftwerk Tuzla, in 2014 auf 346 Mio. Euro, und die Schäden, die alle Kraftwerke in BiH mit ihrer Arbeit in 2014 angerichtet haben, belaufen sich auf etwa 2,2 Mrd. Euro. Laut dem HEAL-Bericht verursachen Kohlekraftwerksanlagen in BiH europaweite gesundheitliche Schäden in Höhe von insgesamt 1,1 bis 3,1 Mrd. Euro pro Jahr. Neben den Kraftwerken gibt es noch viele weitere, größere und kleinere Luftverschmutzer, die es zu identifizieren und auf ihre schädliche Wirkung aufmerksam zu machen gilt.
Die in formellen und informellen Gruppen vereinigten Bürger/innen befassen sich mit der Problematik und weisen im Rahmen ihrer Möglichkeiten auf die Missstände hin. In verschiedenen Städten wurden Proteste organisiert, dies reicht jedoch nicht aus, um die Politiker/innen in BiH dazu zu bringen, dieses Problem als Priorität zu sehen und an einer Lösung zu arbeiten.
Die Lösung des Problems ist dringend und erfordert einen ernsthaften Zugang und die Beteiligung aller Regierungsebenen, den Verschmutzern und der Büerger/innen.