Interview mit Krista Sager

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INTERVIEW.BA: Sie sind eine Frau, die schon Jahrzehnte lang in der Politik ist. Wenn sie jetzt die Zeit damals, als Sie mit ihrer politischen Karriere angefangen haben, mit der heutigen Zeit in Europa vergleichen würden, was hat sich im Punkt der Frauenrechte geändert?

KRISTA SAGER: Ich bin ja eine ziemlich alte Frau, und deswegen kann ich eine sehr lange Zeit zurückblicken. Wann habe ich angefangen, mich für Politik zu interessieren? Das war natürlich, als ich ein junges Mädchen war und eine junge Frau. Damals hatten wir in Deutschland eine völlig andere Situation. Als ich ein junges Mädchen war, brauchte eine Frau die Zustimmung ihres Ehemannes, um ein Bankkonto zu eröffnen. Eine Frau brauchte die Zustimmung ihres Ehemannes, um überhaupt einen Arbeitsplatz annehmen zu können. In Deutschland hatten wir auch eine Diskussion darüber, dass berufstätige Frauen schlechte Mütter sind. Wir hatten einen deutschen Begriff dafür: Rabenmütter. Diesen Begriff gibt es, glaube ich, in keinem anderen Land, und er bedeutet „schlechte Mutter“, eine Mutter, die ihre Kinder schlecht behandelt. Und das ist eben eine Mutter, die Beruf und Familie vereinbaren will. Heute haben wir eine völlig andere Situation. Als ich meine politische Karriere ernsthaft begonnen habe, waren Frauen noch immer eine sehr, sehr kleine Minderheit in der Politik, auch in führenden Positionen in der Gesellschaft. Es gab relativ wenige Vorbilder für Frauen, die in die Politik gingen. Insofern war es eine Sensation, als wir in dieser neuen grünen Partei in Deutschland jedes zweite Amt, jede zweite Position mit einer Frau besetzt haben. Diese 50%-Quote bei den Grünen führte dazu, dass sich die Männer in der Partei bemühen mussten, Frauen für die Politik zu gewinnen und sie zu überzeugen, in der Politik mitzumachen. Die anderen Parteien gerieten ebenfalls unter Druck, weil sie jetzt nicht mehr sagen konnten „es gibt ja keine Frauen, die Politik machen wollen“. Die Grünen haben das Gegenteil bewiesen.

INTERVIEW.BA: Wie hat sich das auf die heutige Situation ausgewirkt?

KRISTA SAGER: Heute stehen nicht nur Parteien, sondern auch der öffentliche Dienst und große Unternehmen unter Druck, Frauen in Führungspositionen zu bringen. Und die Frage, ob Frauen in Führungspositionen angemessen vertreten sind, wird heute nicht nur als eine Frage der Gerechtigkeit oder Gleichstellung diskutiert, sondern auch als eine Frage der Qualität und der Wettbewerbsfähigkeit von Institutionen, weil argumentiert wird und zu Recht argumentiert werden kann, dass das Rekrutieren von Führungskräften in einer Gesellschaft aus einem Geschlecht heraus schon rein logisch keine Besten-Auslese sein kann. Man hat begriffen, dass man zu viele Talente, zu viele Potenziale verliert und außer Acht lässt, die man dringend braucht für die gesellschaftliche Entwicklung, dass man aber auch die Perspektive der Frauen zur Gestaltung der Gesellschaft und Politik dringend braucht. Gerade im Zusammenhang und mit Verbindung zur Gleichstellung und Diversity-Politik sieht man, dass gerade die Perspektivenvielfalt in einer Gesellschaft wichtig ist, um die besten Lösungen zu kreieren. Das heißt, dass nicht nur die Politik, sondern große Institutionen wie die Hochschulen, die Universitäten unter einem Rechtfertigungsdruck stehen. Sie müssen darlegen, welche Ziele sie sich setzen für die Besetzung von Professorenstellen mit Frauen in den nächsten Jahren, welche Maßnahmen sie ergreifen, um diese Frauen für diese Stellen zu gewinnen, welche Pläne sie haben, und sie müssen laufend über ihre Erfolge berichten. Und wenn sie keine Erfolge in diesem Prozess darlegen können, wird dies als ein Versagen der Führung bewertet.    

 

INTERVIEW.BA: Wir sprechen hier über eines der progressivsten Systeme weltweit. Hat der gesellschaftliche Kontext, den Sie gerade beschrieben haben, für Sie und die Frauen in der Politik die Dinge einfacher gemacht?   

KRISTA SAGER: Natürlich war das für die Frauen in der Politik erst einmal eine Erleichterung, dass wir überhaupt die Chance hatten, zu zeigen, was wir leisten können und dass wir überhaupt erst sichtbar wurden, zum Beispiel durch die Quotenregelung bei den Grünen. Aber natürlich ist es so, dass auch eine Frau in der Politik daran gemessen wird, was sie tut und tun kann. Wer dann nicht zurechtkommt und keine guten Ergebnisse liefert, und dann auch seine Wählerinnen und Wähler enttäuscht, der wird dann auch nicht wieder gewählt. So ist das in der Partei, und so ist das bei den Wählerinnen und Wählern. Ich betone das, will wir auch in der Bundesrepublik immer wieder die Diskussion hatten, ob nicht unfähige Frauen in Positionen gebracht werden. Interessanterweise hat sich aber nie jemand darüber beklagt, wie viele unfähige Männer wir inzwischen in Positionen hatten. Natürlich mussten auch die Frauen zeigen, was sie können. Aber gerade dadurch, dass sie diese große Chance hatten, in Ämter zu kommen und sichtbar zu werden, hat es dann auch funktioniert. Ich kann ganz klar sagen: Wenn wir nicht damals als eine neue, junge Partei nicht damit angefangen hätten, und damit etwas in der Gesellschaft und den anderen Partei in Gang gebracht hätten, dann wäre Angela Merkel heute nicht die Bundeskanzlerin der Bundesrepublik.      

INTERVIEW.BA: Was hat sich in dem ganzen Zeitraum als die größte Leistung der Frauen herausgestellt?

KRISTA SAGER: Ich glaube, die größte Leistung in der Politik ist, dass sie eine andere Perspektive auf die Lebenswirklichkeit haben und durch diese andere Perspektive wesentlich dazu beigetragen haben, dass es eine andere Bewertung von Themen gibt und gegeben hat. Das sind die Themen, die heute tatsächlich als die Zukunftsthemen gesehen werden. Wir haben zum Beispiel festgestellt, dass Frauen das Umweltthema sehr viel wichtiger finden als Männer. Und wir haben deswegen auch als junge Partei zu Anfang unserer Entwicklung sehr viel mehr von Frauen als von Männern bekommen. Wir haben viel mehr Frauen in der Partei als die anderen Parteien. Dieser Erhalt der natürlichen Lebensgrundlagen für die nächsten Generationen – das ist etwas, das die Frauen sehr gut verstehen und es viel früher verstanden haben als die Männer.

Aber dies gilt auch für andere Themen. Typisch für Männer die in die Politik gehen ist, dass sie zuständig sein wollen für Finanzen, für Wirtschaft, für Militär. Den Frauen hat man fast immer Themen zugewiesen, die die Männer gar nicht ernst genommen haben. Frau Merkel hat angefangen mit Familie, Frauen und Jugend, und durfte dann hinterher Umweltpolitik machen. Und das ist sehr typisch, dass man sagt, die Frauen können etwas für Familie machen, sie können vielleicht noch ein bisschen für die Gesundheit machen, vielleicht noch Bildung, und dass die Männer diese Themen gar nicht so richtig ernst genommen haben. Und da hat es inzwischen einen Paradigmenwechsel gegeben. Wir sehen inzwischen, dass das Klima-Thema global zu einem der wichtigsten Themen geworden ist. Ich kann aber auch sagen, dass in einem Land wie Deutschland viele inzwischen begriffen haben, dass wir weinige natürliche Rohstoffe haben und unsere größte Ressource die Menschen sind. Themen wie frühkindliche Entwicklung schon vor der Schule, die Schulbildung der Kinder, das Studium der jungen Menschen  - all diese Fragen haben eine ganz andere Bedeutung erfahren und sind nicht mehr diese kleinen, unbedeutenden Themen, die eine Frau mal machen kann, sondern es sind die großen Zukunftsthemen geworden.

INTERVIEW.BA: Ich weiß, dass es manchmal schwer ist, über sich selbst zu sprechen, aber wo haben Sie, Ihrer Meinung nach, die besten Ergebnisse erzielt?

KRISTA SAGER: Es ist wirklich schwer, über eigene Ergebnisse zu sprechen, vor allem, wenn man so lange in der Politik ist wie ich es bin. Und man erreicht die Ergebnisse ja nicht als Einzelperson, sondern im Zusammenspiel mit anderen. Ich möchte aber eine Sache erwähnen, weil ich glaube, dass sie die Welt wirklich etwas verändert hat, und ein ganz hartes Thema ist, um in Ländern wie Bosnien-Herzegowina überhaupt darüber zu sprechen. Als ich in der Hamburger Landesregierung war, habe ich ganz wesentlich dazu beigetragen, dass wir das Testfeld für die Gleichstellung von schwulen und lesbischen Menschen waren. Das war auch damals ein ganz schwieriges Thema in Deutschland, und auch in meiner Heimatstadt. Wir haben das damals so geschickt angefangen,  dass die Bundesregierung sich auch getraut hat, dieses Thema anzufassen, weil plötzlich auch die öffentliche Stimmung eine andere war. Und das hat wirklich Kreise gezogen. Das hat Europa verändert, dass ein Land wie Deutschland sagt, wir gehen diesen Schritt, schwule und lesbische Menschen aus der Diskriminierung herauszuholen. Wir haben da einen kleinen Schritt in Hamburg gemacht, an dem ich wesentlich beteiligt war, aber es war ein zentraler Schritt. Denn, wenn es bei uns schiefgegangen wäre, dann hätte die Bundesregierung das Thema auch nicht angefasst. Ich wähle auch dieses Beispiel, weil es wichtig ist, dass es in der Politik Menschen gibt, die ein Thema anpacken, das als Thema noch in den Kinderschuhen steckt, für das es noch keine große gesellschaftliche Akzeptanz gibt. Ich bin damals auch bedroht worden, weil ich dieses Thema angefasst habe und es wurde behauptet, mein Mann und ich würden nur eine Scheinbeziehung führen, in Wirklichkeit wäre ich eine Lesbe. Bei all diesen Widerständen, die man erfährt, wenn man etwas anfasst, was noch nicht populär ist, ist es wichtig, dass es Menschen in der Politik gibt, die da frei und unabhängig sind, so etwas zu tun. Heute gehört es, zum Glück, zu einem europäischen Standard. Heute wird jedes Land, das in die Europäische Union hinein will gefragt, ob es die Gleichberechtigung dieser Menschen akzeptiert.    

INTERVIEW.BA: Für viele Länder ist Deutschland ein Vorbild, nicht nur wegen ihrer wirtschaftlichen Größe, sondern wegen des ganzen Systems. Viele Länder beneiden Deutschland, schaffen es aber nicht, einen effektiven Schritt nach vorne zu machen, vor alle, wenn es um Frauen geht. Was ist hier der wesentliche Faktor? Liegt es an den Frauen selbst, an den Gesetzen, der patriarchalen Mentalität? 

KRISTA SAGER: Zunächst möchte ich sagen, dass es nicht so ist, als hätten wir in Deutschland nichts mehr zu tun. Wir haben zum Beispiel immer noch ein Gender Pay Gap, was die Bezahlung für Arbeit von Frauen und Arbeit von Männern angeht, da haben wir noch immer Ungerechtigkeit und eine Lücke. Und es gibt, gerade auch in der Wirtschaft, noch eine ganze Menge zu tun, wenn es um Gleichstellung geht. 

Zu Ihrer Frage: Es liegt natürlich an allen drei Faktoren. Natürlich sind Gesetze sehr, sehr wichtig, weil sie auch die Richtung einer Gesellschaft sehr stark prägen können und den Menschen eine Rechtssicherheit geben, wo es hingehen soll in der Entwicklung. Aber für Gesetze braucht es erst einmal eine demokratische Mehrheit, und das kann ein sehr langer Weg sein. Ich hatte ja einige Beispiele genannt für absurde Gesetze, die noch galten, als ich eine junge Frau war. Das heißt, es braucht in der Gesellschaft, in der Zivilgesellschaft und in den Parteien und auch in den Parlamenten Akteurinnen und Akteure, die diese Bewegung in Richtung einer Veränderung tragen, und da sind sowohl Männer als auch Frauen wichtig. Das heißt, Sie brauchen Frauen,  die begreifen, dass es um ihr Leben und das Leben ihrer Kinder geht und dass sie für ihr und das Leben ihrer Kinder eine Verantwortung übernehmen müssen, die ihnen niemand abnimmt. Zu dieser Verantwortung gehört auch, sich für diese Veränderungen einzusetzen. Sie brauchen natürlich auch ein kulturelles Dazulernen in der Gesellschaft. Und da ist es wichtig, dass es Männer gibt, die Vorbilder darin sind, Männer zu unterstützen, die diese kulturellen Veränderungen ebenfalls wollen. Und es wichtig, dass die Männer anfangen zu sehen, dass andere Prioritäten, andere Themen auch für sie eine Chance sind. Inzwischen haben wir in Deutschland und Europa sehr, sehr starke Personen – Frauen und Männer – die sich für unsere natürlichen Lebensgrundlagen engagieren. Aber auch die Vereinbarkeit von Familie und Beruf, die lange Zeit ein typisches Frauenthema war, sehen inzwischen auch viele junge Väter als eine Chance für sich, weil sie auch mehr Zeit mit ihren Kindern verbringen wollen. Weil auch sie sehen, dass sie in der Wirtschaft, in ihrem Unternehmen in einem Wettbewerb stehen, und wenn dieses Unternehmen sich für die Vereinbarkeit von Familie und Beruf stark macht, profitieren auch sie davon.  

INTERVIEW.BA: Sie sind zurzeit in Deutschland an einem interessanten Gesetzesprojekt, dem Karenzzeit-Gesetz für Politiker/innen engagiert. Aus unserer Sicht ist dies ein sehr fortschrittliches Gesetz. Um welche Art von Karenz handelt es sich?  

KRISTA SAGER: Das Karenzzeit-Gesetz ist nur ein kleiner Baustein in dem gesamten Feld, um Korruption und korrupte Beziehungen zu bekämpfen und das Vertrauen der Bürgerinnen und Bürger in die Politik aufrecht zu erhalten. Wir hatten in der Vergangenheit einige Fälle, bei denen Mitglieder der Bundesregierung, also Ministerinnen und Minister aber auch die so genannten parlamentarischen Staatssekretäre, aus ihren Ministerämtern direkt gewechselt sind in ein hochdotiertes wichtiges Amt in der Wirtschaft, zum Beispiel bei einem Interessensverband oder bei einem großen Unternehmen. Das kann man hier in Bosnien-Herzegowina vielleicht schwer nachvollziehen, aber die deutschen Bürgerinnen und Bürger haben das als Skandal gesehen. Denn dies hat natürlich Zweifel an der voreigenommenen Amtsführung aufkommen lassen. Die Bürgerinnen und Bürger haben sich natürlich gefragt, ob diese Ministerinnen und Minister für das Gemeinwohl, für die Interessen der Bürgerinnen und Bürger gearbeitet haben, oder er/sie für die Interessen eines Großunternehmens oder einer großen Interessensgruppe gearbeitet hat, um die eigene Karriere in diesem Wirtschaftsbereich schon vorzubereiten. In Zukunft muss die Bundesregierung also in jedem Einzelfall entscheiden, ob bei einem Wechsel - der auch angezeigt werden muss, wenn er vorbereitet wird oder bevorsteht - eine Karenzzeit von einem bis eineinhalb Jahren dazwischen liegen soll. Und da die Bundesregierung vielleicht auch etwas Schwierigkeiten hat, über ihre eigenen, auch ehemaligen Kolleginnen und Kollegen zu entscheiden, gibt es ein dreiköpfiges Beratungsgremium, bestehend aus ehemaligen Staatsdiener/innen, die dann Empfehlungen aussprechen.  

INTERVIEW.BA: Was geschieht, wenn in Deutschland bei einem Politiker ein Fall von Korruption nachgewiesen wird? Nicht nur im Bezug auf einen eventuellen Strafprozess, sondern auch im Bezug auf seine gesellschaftliche Stellung? In BiH zum Beispiel

geschieht in solchen Fällen gar nichts.

KRISTA SAGER: Ich glaube, das gibt es schon einen sehr großen Unterschied zwischen der Gesellschaft hier und der Gesellschaft in der Bundesrepublik Deutschland. Ich will aber auch sagen, dass die Bürgerinnen und Bürger und auch die Medien in der BRD nicht immer so sensibel sind in diesem Bereich, wie ich  mir das wünschen würde. Manchmal machen es die Medien auch sehr stark davon abhängig, wie beliebt eine Person ist, und auch wie eng ihre Beziehung zu der Person ist. Für den Bereich der Politik würde ich sagen, dass jemand, der in einem politischen Amt der Korruption überführt wird, sehr streng beurteilt wird und sicher zurücktreten und sein Amt aufgeben müsste. In anderen Bereichen der Gesellschaft ist man mit finanziellen Straftaten dann doch oft etwas großzügiger, zum Beispiel im Bereich des Fußballs. Aber in der Politik ist man in der Bundesrepublik doch eher geneigt, härter zu urteilen.

In diesem Zusammenhang ist natürlich die Rolle unabhängiger Medien besonders wichtig, die auch den Bürgerinnen und Bürgern die Dimension und den Schaden, der durch Korruption entsteht, eindeutig klar machen. Und ich will in diesem Zusammenhang auch betonen, dass es besonders wichtig ist, einen unabhängigen und kritischen Blick zu haben auf langjährig eingespielte Männerseilschaften. Das ist auch ein gutes Argument dafür, dass es gut ist, wenn in einer Gesellschaft Frauen eine kritische Masse in wichtigen gesellschaftlichen Feldern und Funktionen bilden, weil Frauen sich nicht so leicht in diese alten Männerseilschaften einbauen lassen. Ich möchte in diesem Zusammenhang daran erinnern, dass es Angela Merkel war, die damals dem früheren Bundeskanzler Helmut Kohl gestürzt hat, weil sie nicht bereit war, eine inkorrekte Spendenaffäre zu decken. Und das wir inzwischen mehr Skandale im Männerfußball haben als in der Politik in Deutschland, halte ich auch nicht für einen Zufall.    

INTERVIEW.BA: Wenn Sie mit Frauen in Ländern sprechen, in denen keine so fortschrittliche politische Praxis herrscht, was möchten Sie diesen Frauen vermitteln?   

KRISTA SAGER: Ich bin sehr lange in der Politik gewesen, deswegen kann ich diesen Frauen glaube ich sagen: Die Welt kann sich auch in Deinem Leben sehr, sehr verändern. Als ich eine junge Frau war, war auch die Welt in der Bundesrepublik Deutschland, was Frauenrechte und die Situation von Frauen angeht, wirklich eine völlig andere als heute. Wir haben da nicht immer auf einer Insel der Glücklichen und der Seligen gelebt. Auch das Denken in der Gesellschaft war sehr traditionell bis frauenfeindlich, offen frauenfeindlich. Und ich glaube, dass viele Frauen, wenn sie das jeden Tag erleben, auch manchmal das Gefühl haben, dass sich hier nie etwas ändern wird, dass es sich nicht lohnt und es so frustrierend ist und man die Lust am Engagement verliert. Und denen möchte ich gerne sagen: Es lohnt sich, verdammt nochmal! Es kann sich ganz, ganz viel verändern für Dich und für Deine Kinder, aber es kommt nicht von alleine. Und es ist ganz, ganz wichtig, dass diese Frauen Verantwortung übernehmen für ihr eigenes Leben und für das ihrer Kinder, und dass sie nicht resignieren und dass sie das nicht nur den Männern überlassen.  

Ich möchte noch etwas dazu sagen. Ich bin Teil der deutschen Nachkriegsgeneration, die gleich nach dem Krieg geboren wurde. In meiner Heimatstadt habe ich selber die Kriegsruinen noch erlebt. Kriegsversehrte Männer waren Alltag, und mein Vater war selbst Kriegsteilnehmer. Irgendwann als junger Mensch habe ich begriffen: Die Generation meiner Großeltern hat versagt, die Generation meines Vaters hat auch versagt, und vor allen Dingen hat auch diese Männergeneration versagt. Ich habe begriffen, dass es nicht richtig sein kann, dass die Männer diese ganze Katastrophe anzetteln, die Frauen im Krieg dann das Überleben der Familie sichern und nach dem Krieg die Frauen alle wieder in der Küche verschwinden. Ich habe für mich entschieden: Ich will nicht, dass mein Leben ein Leben zwischen dem letzten Krieg und dem nächsten Krieg ist. Deswegen habe ich entschlossen, einen Großteil meines Lebens mit Politik zu verbringen. Das ist nicht immer leicht gewesen und es hat nicht immer nur Spaß gemacht, aber ich bereue es nicht und bin froh, es gemacht zu haben.    

INTERVIEW.BA: Wie gut kennen Sie Bosnien-Herzegowina und was sind ihre ersten Assoziationen in Bezug auf dieses Land?

KRISTA SAGER: Ich denke, der erste Gedanke für die meisten Menschen ist natürlich die Erinnerung an den schrecklichen Krieg und die Kriegsverbrechen, die hier verübt wurden. Ich will Ihnen aber auch sagen, wann ich dieses Land das allererste Mal bewusst wahrgenommen habe. Das war in Zusammenhang mit der Winterolympiade in Sarajevo. Damals hatte ich ein Bild von einer tollen Metropole mitten in Europa, wo die Menschen multi-ethnisch zusammenleben und die ganze Welt zu einem tollen Fest einladen. Ich bin ja dann 1996 mit einer Delegation durch dieses völlig vom Krieg zerstörte Land gefahren, wir haben uns mit den Kriegsverbrechen und den schrecklichen Verbrechen gegen die Frauen beschäftigt. Das was alles ein großer Schock und fast unfassbar zu begreifen, was hier passiert ist. 1993 gehörte ich zu den allerersten innerhalb der grünen Partei, die dafür eingetreten ist, dass die internationale Staatengemeinschaft sich hier stärker massiv einmischt, auch mit militärischen Mitteln, um diese Kriegsverbrechen zu beenden. Das wäre damals fast das Ende meiner politischen Karriere gewesen. Aber die internationale Staatengemeinschaft und die EU werden für die Menschen hier nicht alle Probleme lösen. Das müssen die Menschen in diesem Land selber tun. Ich würde mir wünschen, dass wir es schaffen würden, wieder an dieses Bild anzuknüpfen, was ich 1984 von diesem Land hatte.