Alltagsdemokratie: Nur „Lizenznehmer“ dürfen den Stadtpark Horsh Beirut nutzen – eine Tendenz, die sich für viele Grünflächen der libanesischen Hauptstadt abzeichnet. Unterstützt von der Stiftung, wollen Kampagnen und Organisationen die Stadt für die Bevölkerung zurück erobern. (# 7 Alltagsdemokratie)
Der Horsh Beirut ist ein wunderschöner Park, der sich über eine riesige Fläche von 25.000 Quadratmeter erstreckt: Pinien, Palmen, Wiesen, 900 verschiedene Pflanzen, asphaltierte Wege und sogar eine kleine Bühne. Er liegt mitten in der libanesischen Hauptstadt und wäre ein ideales Naherholungsgebiet für die urbane Bevölkerung.
Doch Joggende oder Spaziergängerinnen und Spaziergänger sieht man höchstens um den Park herum. Die Stadtverwaltung hat den Horsh Beirut vor über 20 Jahren für die Allgemeinheit gesperrt. Nur „Lizenznehmer“ dürfen hinein – zumeist westliche Ausländer/innen oder Leute mit einem guten Draht zur Parkverwaltung.
Der Horsh Beirut ist keine Ausnahme in Beirut. „Es gibt die Tendenz, Grünflächen und die schönsten Strandabschnitte zu privatisieren“, sagt Bente Scheller, Leiterin des Nahost-Büros der Heinrich-Böll-Stiftung in Beirut. „Immer mehr Parks und öffentlicher Raum wird der normalen Bevölkerung entzogen. Die Menschen können sich kaum noch außerhalb der Einkaufszentren treffen.“
Die Heinrich-Böll-Stiftung unterstützt deshalb Organisationen und Kampagnen, die die Stadt für die Bevölkerung zurückerobern wollen. Eine davon ist Nahnoo, zu Deutsch „Wir“, eine kleine Nichtregierungsorganisation, die für die Öffnung des Horsh Beirut kämpft. „Man muss sich einmal diese Diskriminierung vorstellen: Es ist deine Stadt, dein Park, und du darfst nicht hinein“, sagt Mohammed Ayoub, der Nahnoo leitet. „Es ist, als würde man den Menschen sagen: Ihr verdient so etwas nicht.“
Für das Vertrauen der Bevölkerung in die Demokratie sind solche Botschaften verheerend. Der Libanon hat ohnehin schwach ausgeprägte staatliche Strukturen. Vom jahrelangen Bürgerkrieg hat sich der Libanon nie wirklich erholt. Nach wie vor zerfällt das Land in verschiedene Bevölkerungsteile, die im Wesentlichen den ehemaligen Kriegsparteien entsprechen: eine halbe Million palästinensischer Flüchtlinge, die als Recht- und Staatenlose im Libanon leben, und syrische Flüchtlinge, die rund ein Drittel der Bevölkerung des Landes ausmachen.
Die meisten vertrauen nach wie vor eher auf ihre eigene ethnisch-religiöse Gruppe als auf den Staat – kein Wunder, denn die im Abkommen von Ta’if festgeschriebene Nachkriegsordnung sieht innerhalb des Parlamentes einen strengen Proporz der 18 Konfessionen vor. Ohne öffentliche Räume haben diese verschiedenen Segmente der Bevölkerung ebenso wenig Chance, einander zu begegnen, wie Menschen unterschiedlichen sozialen Hintergrundes. So werden Vorurteile und die Zersplitterung weiter verstärkt.
„Der öffentliche Raum, also die Parks, Strände und Plätze, sind wie das Wohnzimmer in einem Zuhause“, sagt Ayoub. „Ohne dieses Wohnzimmer gibt es keinen Ort, wo man sich begegnet, kommuniziert, sich streitet“. Eine demokratische Gesellschaft braucht deshalb genau diesen öffentlichen Raum, um zu funktionieren, betont Ayoub. „Demokratie sind ja nicht nur Wahlen.“
Nahnoo ebenso wie andere NGOs, die die Stiftung unterstützt, wollen mit ihren Kampagnen, Demonstrationen und öffentlichen Picknicks erreichen, dass der Horsh Beirut wieder geöffnet und neue Plätze geschaffen werden. Aber es geht darüber hinaus auch darum, Privatisierungen rückgängig zu machen. Eine Reihe von Stränden werden kommerziell betrieben, kosten Eintritt, und man darf kein Essen selbst mitbringen. „Viele Familien aus der Mittelschicht können es sich nicht mehr leisten, gemeinsam Zeit im Freien zu verbringen“, so Bente Scheller.
Im gesamten Stadtgebiet Beiruts gibt es nur noch einen einzigen öffentlichen Zugang zum Mittelmeer, Ramlet al-Beida, ein verschmutztes kleines Stück Strand. Alles andere ist in privater Hand. Der öffentliche Druck hat inzwischen immerhin dazu geführt, dass die Stadt Beirut versprochen hat, Land zurückzukaufen. Und auch in die Debatte um den Horsh Beirut ist Bewegung gekommen. Das Argument, der Park müsse vor Vandalismus geschützt werden, wird immer seltener vorgebracht. Zögerlich hält die Stadtverwaltung nach einem Unternehmen Ausschau, das sich eventuell um die Instandhaltung des Parks kümmern könnte. „Ich glaube, dass der Horsh Beirut schon in naher Zukunft wiedereröffnet wird“, ist Ayoub optimistisch. „Wir brauchen Zeit und Geduld.“
Dieser Beitrag ist Teil unseres Dossiers "Für Demokratie - Vom Engagement der Heinrich-Böll-Stiftung in der Welt" und wurde im Rahmen der gleichnamigen Publikation erstellt.