Ernüchternde Bilanz der deutsch-britischen Bosnieninitiative zwei Jahre nach ihrem Start

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Der bisherige Umsetzungsprozess der Reformagenda hat bewiesen, dass die führenden internationalen Akteure in BiH durchaus in der Lage sind, das Land in Richtung eines nachhaltigen Reformkurses zu drängen. Das hat in erster Linie die Anwendung strikter Konditionalität durch den IMF demonstriert. Dass die EU-Initiative bisher nur so begrenzte Ergebnisse hervorgebracht hat, lag nicht etwa daran, dass eine Politik der Konditionalität in BiH nicht funktioniert oder funktionieren kann, wie es viel EU Offizielle regelmäßig behaupten, sondern am fehlenden politischen Willen der EU, Konditionalität konsequent und strikt anzuwenden.

Ernsthafter politischer Wandel in Sicht?

Ernüchternde Bilanz der deutsch-britischen Bosnieninitiative zwei Jahre nach ihrem Start

Im November 2014 hoben Deutschland und Großbritannien eine neue politische Initiative für Bosnien und Herzegowina (BiH) aus der Taufe. Einen Monat später übernahm die Europäische Union die Initiative als ihre neue Bosnieninitiative. Im Februar desselben Jahres waren in Bosnien-Herzegowina gewaltsame soziale Proteste ausgebrochen, welche das Scheitern des vorherigen politischen Ansatzes der EU beim Versuch, wirklichen politischen Wandel im dem kleinen Westbalkanstaat zu befördern, markierten. Zugleich lenkten die Unruhen in Europa und den USA neue Aufmerksamkeit auf die ungelösten Strukturproblem BiHs. Das ermöglichte, dass Berlin und London endlich zu einer gemeinsamen politischen Initiative zusammenfanden. Grundlegende Meinungsverschiedenheiten der beiden Länder über den richtigen politischen Kurs in BiH verhinderte über Jahre die Entwicklung einer sinnvollen Bosnienpolitik der EU.

Die Initiative legte den Schwerpunkt auf sozio-ökonomische Strukturreformen. Politisch heikle Themen wie z.B. Verfassungsreform wurden zur Seite geschoben und sollten zu einem späteren Zeitpunkt behandelt werden, um den seit einem Jahrzehnt blockierten EU-Integrationsprozess Bosnien-Herzegowinas wieder in Gang zu setzen.

Oberflächlich betrachtet scheint die Initiative ein Erfolg zu sein: Im September 2016, weniger als zwei Jahre nach dem Start der Initiative, hat der Rat für Allgemeine Angelegenheiten der EU BiH’s Mitgliedsantrag an die EU Kommission zur Anfertigung einer Stellungnahme weitergeleitet. Diese Entscheidung stellte den dritten und letzten Schritt im EU-Integrationsprozess dar, welchen die Initiative als Belohnung für die Erfüllung bestimmter Reformbedingungen vorgesehen hatte. Vorausgegangen waren die lang aufgeschobene Inkraftsetzung des EU-Stabilisierungs- und Assoziierungsabkommens sowie die offizielle Einreichung des Mitgliedsantrags von Bosnien-Herzegowina. Außerdem war das Herzstück der Initiative, die sogenannte Reformagenda, vereinbart und ihre Implementierung begonnen worden.

Eine detaillierte Bestandsanalyse der im Rahmen der EU-Initiative bisher vorgenommenen Reformen stellt diesen positiven Eindruck allerdings grundlegend in Frage: Tatsächlich stellen sich die bisher erfolgten Reformen als brüchig dar, ihre Nachhaltigkeit ist hochgradig fragwürdig und die langfristige gesellschaftspolitische Perspektive von Bosnien-Herzegowina erscheint düster.

Zwar gelang es der EU und den Internationalen Finanzinstitutionen (IFIs), sich mit den Regierungen in BiH auf eine breite Agenda für sozio-ökonomische Reformen, die Reformagenda 2015-18 zu einigen. Wenn vollständig umgesetzt, würde die Agenda das Patronagesystem in BiH, welche die Existenzgrundlage der politischen Eliten bildet und den Hauptgrund für die Dysfunktionalität des Staates und seine Reformresistenz darstellt, grundlegend erschüttern. Die Agenda hat tatsächlich zum ersten Mal in einem Jahrzehnt eine gewisse Reformdynamik in Gang gesetzt. Dies ist in erster Linie dem Agieren der IFIs, allen voran des IMF geschuldet, welche neue Kreditprogramm zur Unterstützung der Agenda aufgelegt und sich eine strikte Politik finanzieller Konditionalität verordnet haben.  So wurde in einem zentralen Reformbereich, der Modernisierung des Arbeitsmarktes, eine neue Arbeitsgesetzgebung in den beiden Entitäten verabschiedet.

Jedoch fällt die Substanz des reformierten Arbeitsrechts, welches von EU und den IFIs für seine positive und weitreichende Wirkung gelobt worden war, erheblich hinter die zum Ausdruck gebrachten Erwartungen zurück. Gleichzeitig befinden sich die Strukturreformen in allen anderen die Agenda umfassenden Bereichen noch in der Anfangsphase. Seit 2015 ist es zu zahllosen Verzögerung bei der Umsetzung von Reformmaßnahmen gekommen. Sie sind das Ergebnis von Konflikten zwischen den politischen Eliten, die ihre fest verankerten Interessen gegen die sie bedrohenden Reformen verteidigten. Da 2018 ein Wahljahr in BiH ist, verbleibt nur ein sehr begrenztes Zeitfenster zur Umsetzung der zahlreichen Strukturreformen. Und viele von ihnen können auch objektive in der verbleibenden Zeit nicht mehr vollständig umgesetzt werden.

Was die übrigen Konditionen angeht, deren Erfüllung die EU zur Bedingung für BiH’s Fortschritt im EU-Integrationsprozess machte, so hat die EU ihre Praxis fortgesetzt, auf Reformwiderstand mit Nachgeben zu reagieren. Die EU-Institutionen sind Kompromisse über selbst gesetzte Bedingungen eingegangen, haben Konditionalität reduziert, selbst gesetzte Fristen ignoriert und in einzelnen Fällen Bedingungen gar komplett fallen gelassen. Wo Bedingungen erfüllt wurden, war dies überwiegend der völligen Absehung der EU von der Substanz der von den politischen Führungspersönlichkeiten in BiH vereinbarten „Lösungen“ bzw. dem Fehlen einer solchen Substanz geschuldet. Der Umgang der EU geriet zum schlichten Abhaken der Liste an gesetzten Bedingungen. Als Ergebnis werden einige dieser „Lösungen“ in der Praxis wohl nie funktionieren.

Schließlich entwickelte sich die Gestaltung der Beziehung zwischen der EU und Bosnien-Herzegowinas in der Umsetzung der EU-Initiative als eine Art geschlossener Verein. Parlamente, die Zivilgesellschaft wie auch die breitere Öffentlichkeit wurden weitgehend von Politikentwicklung und Entscheidungsprozessen ausgeklammert. Fehlender politischer Wille und Erfahrung der EU darin, eine breite gesellschaftliche Unterstützung für ihre Initiative zu entwickeln, haben den Einfluss der EU geschmälert und den der widerspenstigen Politiker in BiH vergrößert. Das ist umso erstaunlicher, als die Erkenntnis, dass die politischen Eliten in BiH kein wirkliches Interesse an Reformen haben und es einer breiten gesellschaftlichen Unterstützung zur Überwindung ihres Widerstands bedarf, ursprünglich einmal Ausganspunkt der Initiative gewesen war.

Auf diesem Hintergrund erscheinen die Erfolgsaussichten für die weitere Implementierung der Reformagenda düster, umso mehr als der weitere Weg vollkommen unklar ist. Als die EU 2014 die deutsch-britische Initiative übernahm, schwächte sie die Konditionalität für den letzten Schritt, die Überweisung von Bosnien-Herzegowinas Mitgliedsantrag an die Europäische Kommission zur Vorbereitung einer Stellungnahme, von „vollständige Umsetzung“  der Reformagenda zu „bedeutsame Fortschritte“ in der Implementierung ab. Aktuell verfügt die EU über keinen Plan, wie die vollständige Implementierung mit weiteren Fortschritten im Beitrittsprozess verknüpft werden kann. Außerdem hat die Europäische Kommission am 9. Dezember vergangenen Jahres Bosnien-Herzegowina einen Fragebogen zur Vorbereitung ihrer Stellungnahme übergeben. Seitdem sind die Regierungen auf allen staatlichen Ebenen mit der Beantwortung von mehreren tausend Fragen beschäftigt. Bereits jetzt gibt es Anzeichen, dass die Regierungen die Umsetzung der Reformagenda aus dem Blick verlieren, oder noch schlimmer, dass sie den Fragebogen als Entschuldigung dafür missbrauchen könnten, weitere Reformen zu umgehen.

Dennoch hat der bisherige Umsetzungsprozess der Reformagenda bewiesen, dass die führenden internationalen Akteure in BiH durchaus in der Lage sind, das Land in Richtung eines nachhaltigen Reformkurses zu drängen. Das hat in erster Linie die Anwendung strikter Konditionalität durch den IMF demonstriert. Dass die EU-Initiative bisher nur so begrenzte Ergebnisse hervorgebracht hat, lag nicht etwa daran, dass eine Politik der Konditionalität in BiH nicht funktioniert oder funktionieren kann, wie es viel EU Offizielle regelmäßig behaupten, sondern am fehlenden politischen Willen der EU, Konditionalität konsequent und strikt anzuwenden. Dies liegt an der niedrigen Priorität, welche Deutschland und andere führende Akteure in der EU Bosnien-Herzegowina angesichts anderer drängenderer internationaler Herausforderungen und einer zunehmend komplizierter werdenden geopolitischen Ordnung einräumen. Ein Zusammenbruch der Reformagenda könnte jedoch nicht nur ein erneutes Scheitern der EU in BiH bedeuten. Das Scheitern der EU-Initiative könnte das Land zurück in gewaltsame soziale Unruhen führen, wobei die Gefahr besteht, dass es den politischen Eliten diesmal gelingen könnte, diese in gewaltsame ethnische Konflikte zu transformieren – was die Sicherheit der EU direkt bedrohen würde.  

Um ein derartiges Szenario abzuwenden, bedarf es politischen Willen und Führung auf Seiten der EU, vor allem von Deutschland, um die Reformagenda zu einem erfolgreichen Abschluss zu bringen. Es bedarf keiner erheblichen zusätzlichen Ressourcen. Notwendig ist stattdessen, die Initiative strategisch zu überdenken und anzupassen. In einem solchen Prozess muss die EU die Bürger und Bürgerinnen  von Bosnien und Herzegowina als Verbündete bei ihren Bemühungen, sozio-ökonomische Strukturreformen durchzusetzen, akzeptieren und integrieren.