Thailand: Meinungsfreiheit unter Kriminalitätsverdacht

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Kampagnengrafik des Dokumentationszentrums

Öffentliche Demokratie: Die Gleichung „neue Medien führt zu erhöhter politischer Partizipation“ geht nicht immer auf: Das „Freedom of Expression Documentation Centre“ dokumentiert die verschärften Einschränkungen der Meinungs- und Pressefreiheit in Thailand.

Zum Beispiel ein Musiker aus der nordöstlichen Provinz Ubon Ratchathani. Alter: 28 Jahre, Anklage: Majes-tätsbeleidigung. „Der Angeklagte wurde in seiner Wohnung verhaftet. Ihm wird vorgeworfen, auf Facebook insgesamt neun Nachrichten verbreitet zu haben, die gegen den Artikel 112 des Strafgesetzbuches (Majes-tätsbeleidigung) und das Computer-Kriminalitätsgesetz (Computer Crime Act) verstoßen.” Auf der Webseite des „Freedom of Expression Documentation Centre” können wir noch viel mehr über diesen Fall lesen.

So etwa, dass die Polizei einen falschen Account benutzte, um sich mit dem Musiker auf Facebook zu befreun-den, und dass dann Konversationen als Beweismittel dafür genommen wurden, ihn aufgrund von Majestätsbeleidigung zu verhaften. Das war am 16. März 2012. Über zwei Jahre später, am 31. Juli 2014, wurde das abschließende Urteil verkündet. Der Angeklagte muss für 15 Jahre ins Gefängnis. Ursprünglich entschied das Gericht auf 30 Jahre Haft. Für jede einzelne der neun Nachrichten verhängte das Gericht jeweils drei Jahre Haft nach Artikel 112 des Strafgesetzbuches, sowie nochmals vier Monate pro Nachricht nach dem Computer-Kriminalitätsgesetz. Da sich der Angeklagte ‚geständig zeigte‘, reduzierte das Gericht die Strafe letztendlich um die Hälfte.

Dieser Fall ist nur einer von über 400, die seit 2011 in der Datenbank des „Freedom of Expression Documentation Centre” detailliert dokumentiert sind. Sowohl die große Menge als auch die Art der Anklagen zeigt anschaulich, dass die verfassungsrechtlich geschützte Presse- und Meinungsfreiheit in Thailand spätestens seit dem Staatsstreich 2006 immer weiter eingeschränkt wurde.

Das "Computer-Kriminalitätsgesetz"

Thailand kann als ein Paradebeispiel dafür genommen werden, dass die vereinfachte Gleichung „neue Medien führt zu erhöhter politischer Partizipation“ nicht immer unbedingt aufgeht. Denn im Zuge des seit über zehn Jahren schwelenden politischen Konflikts zwischen den sogenannten „Rot-“ und „Gelbhemden“ haben sich unterschiedliche Regierungen fragwürdiger rechtlicher Instrumente bedient, um Restriktionen von Meinungsfreiheit insbesondere im Online-Bereich zu verschärfen, und hunderte Menschen zu inhaftieren.

Zum einen nutzten sie dazu das fast in Vergessenheit geratene Verbot der Majestätsbeleidigung, das in den Jahren nach dem Putsch plötzlich in über 400 Fällen pro Jahr angewandt wurde. Zum anderen verabschiedete die militärgestützte Regierung 2007 das Computer-Kriminalitätsgesetzes und verbot damit die Verbreitung bestimmter Inhalte im Internet, die relativ vage als wahlweise „falsch”, „beleidigend”, „gefährlich” und „majestätsbeleidigend” definiert wurden. In einer von der Heinrich-Böll-Stiftung unterstützten Studie schätzen die Autor/innen die Zahl der URLs, deren Zugang im Laufe der ersten vier Jahre nach der Verabschiedung des Computer-Kriminalitätsgesetzes gesperrt wurde, auf über 80.000.

Die Idee für den Aufbau der Datenbank des „Freedom of Expression Documentation Centre” entstand im Zuge ebendieser Studie über die Auswirkungen des Computer-Kriminalitätsgesetzes. Das Regionalbüro der Stiftung in Südostasien und die Nichtregierungsorganisation „Internet Dialogue on Law Reform (iLaw)” wollten die Ergebnisse der Forschung einer breiteren Öffentlichkeit zugänglich machen, und einen Weg finden, kontinuierlich neueste Entwicklungen einfließen zu lassen.

Eine Online-Datenbank sollte außerdem dazu dienen, Beweise für die fatalen Folgen des Computerkriminalitätsgesetzes zu sammeln, und so eine Basis für Advocacy-Arbeit zum Zweck der Medienreform schaffen. „Der Raum für zivilgesellschaftliche Akteure in unseren Medien ist winzig klein“, erklärt die zuständige Projektkoordinatorin der Heinrich-Böll-Stiftung Srijula Yongstar, „mit der Unterstützung des Centres wollen wir deshalb gegen verschärfte Kontrollen kämpfen, und langfristig mehr politische Partizipation im Medienbereich ermöglichen“.

Das dahinterstehende Konzept ist relativ simpel, aber dafür nicht weniger effektiv. In einer Online-Datenbank werden alle Fälle gesammelt und dokumentiert, in denen Personen von staatlicher Seite auf Basis des Computer-Kriminalitätsgesetzes, der Majestätsbeleidigung oder anderer restriktiver Gesetze angeklagt sind. Die dokumentierten Fälle werden außerdem für eine Fachöffentlichkeit zusammenfassend analysiert und in informativen Infografiken statistisch ausgewertet. Die häufig detaillierten Beschreibungen der unterschiedlichen Fälle in der Datenbank gehen jedoch weit über eine rein quantitative Auswertung hinaus. Denn kaum erfahren sie von einer Anklage, setzen sich die Mitarbeiter/innen des Dokumentationszentrum mit der angeklagten Person in Verbindung, und besuchen sie gegebenenfalls in Untersuchungshaft, um ihre Sicht der Dinge aufnehmen zu können.

"Bisher haben sie uns in Ruhe gelassen”

„Das ist oft schwierig und anstrengend”, erklärt Anon Chawalanan, einer der beiden hauptamtlich Angestellten des Centres. „Verhaftete dürfen nur einmal am Tag für 20 Minuten jemanden empfangen, und Gespräche finden in einem großen Besucherraum mit vielen anderen Häftlingen statt. Ein richtig offenes Gespräch zu führen ist deshalb meist unmöglich”. Sobald der Fall vor Gericht ist, beobachten Mitarbeitende den Verlauf des Prozesses. Dabei schreiben sie nicht nur mit, was im Gericht gesagt wird, sondern machen auch Notizen zum breiteren Kontext: Wer sitzt im Publikum? Welche Unterbrechungen gibt es? Wie verhalten sich Anklage und Verteidigung? Auf Basis der Notizen werden die Berichtsentwürfe mit dem Team besprochen, bevor sie auf Thai und Englisch in der Datenbank online gestellt werden.

Neben der Datenbank organisieren das Centre und iLaw gemeinsam öffentliche Foren, in denen aktuelle Themen von Presse- und Meinungsfreiheit in Thailand mit Expert/innen diskutiert werden. Und einmal im Jahr findet unter dem Motto „Mach Deinen Mund auf!” ein viertägiges Camp für Studierende statt, in denen sie anhand konkreter Fallbeispiele in die Problematik der Meinungsfreiheit in Thailand eingeführt werden. Bei diesen unterschiedlichen Aktivitäten werden die beiden Hauptamtlichen von zwei Freiwilligen und einem Praktikanten unterstützt.

Das für Juni 2014 geplante Camp nach dem Putsch im Mai musste kurzfristig abgesagt werden. iLaw war zunächst damit beschäftigt, alle nötigen Vorsichtsmaßnahmen für das Weiterbestehen der Organisation zu treffen. „Wir hatten bereits damit gerechnet, dass unsere Webseite blockiert wird, und eine Ersatzdomain geschaffen”, erläutert Anon, „aber bisher haben sie uns in Ruhe gelassen”. Vielleicht auch, weil sich iLaw inzwischen einen Namen gemacht hat, und ein breites Netzwerk von Akademiker/innen, (internationalen) Journalist/innen und Botschaftsangehörigen regelmäßig auf die Informationen, Analysen und Infografiken des „Freedom of Expression Documentation Centres” zurückgreift.

Schon im Jahre darauf organisierte iLaw das Camp erneut und setzte seine Kooperation mit den Studierenden erfolgreich fort. Denn laut iLaw hat der Kampf für Meinungsfreiheit unter einem Militärregime, das im Namen einer eigens geschaffenen „Wahrheit” zum Zweck der „nationalen Versöhnung” Aktivist/innen, Akademiker/innen und Journalist/innen interniert  im zweiten Jahr nach dem Putsch weiter an Virulenz gewonnen.

Dieser Beitrag ist Teil unseres Dossiers "Für Demokratie - Vom Engagement der Heinrich-Böll-Stiftung in der Welt" und wurde im Rahmen der gleichnamigen Publikation erstellt.