Demokratie muss erkämpft und erneuert werden

Graffitti "Meine Stimme für die Zukunft"...

Die Demokratiearbeit der Heinrich-Böll-Stiftung im Ausland

Die Menschen wollen Demokratie. Das zeigen Befragungen überall auf der Welt. Doch was ist der richtige Weg, um Menschen auf dem Weg in ein besseres Leben in einer freiheitlichen Demokratie zu unterstützen? Die Heinrich-Böll-Stiftung ist seit Jahrzehnten in der Demokratieförderung aktiv und unterstützt im Rahmen ihrer Aktivitäten vor allem engagierte Menschen in den bestehenden oder entstehenden Zivilgesellschaften. Dabei achtet sie darauf, die sozialen, geschlechterpolitischen und ökologischen Anliegen jeweils mit einem demokratiepolitischen Ansatz zu verknüpfen.

Demokratie ist kein Selbstläufer. Demokratie muss erkämpft, mit Leben gefüllt und erneuert werden. Demokratie und Demokratisierung weltweit zu unterstützen und zu fördern ist ein Kernanliegen der internationalen Arbeit der Heinrich-Böll-Stiftung. Überall auf der Welt setzen sich Menschen für Demokratie, für politische, wirtschaftliche und kulturelle Rechte, für ein demokratisch organisiertes Gemeinwesen ein. «Demokratie», das zeigen Befragungen, ist die von Menschen in aller Welt bevorzugte Regierungsform.

Eine Betrachtung der politischen Landkarte zeigt schnell, wie verschieden die Ausgangsbedingungen in den Staaten der Welt sind.
Was kann die Heinrich-Böll-Stiftung als ausländische Stiftung mit ihren politischen Anliegen und Werten überhaupt ausrichten?
Gibt es Handlungsspielräume genug, um mit Partnerinnen und Partnern zu arbeiten? Für die Beurteilung gibt es keine Blaupause, die Wahl der Kooperationspartner/innen, der Instrumente und Handlungsebenen erfolgt immer länderspezifisch.

Dazu braucht es enorme Landeskenntnis und politisches Fingerspitzengefühl. Wer sind die Akteur/innen der Veränderung? Wer hat Ressourcen und Zugänge zu gesellschaftlichen Kräften, zu politischen Entscheidungsträger/innen, die demokratische Prozesse befördern wollen? Wer wird aus der demokratischen Meinungsbildung und aus Entscheidungsprozessen ausgeklammert? Generell gilt daher für die Heinrich-Böll-Stiftung, dass jedem Engagement eine umfassende Analyse der politischen und gesellschaftlichen Rahmenbedingungen und damit der Hemmnisse und Potentiale von Demokratisierung voraus geht. Dazu zählt für die Stiftung immer eine ausführliche Befassung mit den geschlechterpolitischen Realitäten, zum Beispiel wie die unterschiedlichen politischen und wirtschaftlichen Teilhabechancen von Frauen und Männern aussehen.

Die Heinrich-Böll-Stiftung arbeitet in Demokratien des Nordens (wie den USA und den Ländern West- und Osteuropas) und in Demokratien des Südens (wie Indien, Brasilien und Südafrika), in Transitionsländern (wie Tunesien und Myanmar) oder in autoritären Staaten (wie Russland und China). Die Stiftung ist zudem in einer Reihe von Konflikt- und Postkonfliktregionen wie Afghanistan und in Ländern des Nahen Ostens präsent, um dort an Demokratisierungs-, Friedens- und Versöhnungsprozessen anzuknüpfen, die aus den jeweiligen Gesellschaften selbst hervorgehen.

Demokratieförderung konkret

Bei der Förderung demokratischer Strukturen wird in der Literatur zwischen direkter und indirekter Demokratieförderung unterschieden. Direkte Demokratieförderung zielt auf die politischen Verfahren und Entscheidungsprozesse ab. Dazu gehören die Beobachtung von Wahlen, die Stärkung von Parteien, die Professionalisierung der Parlamente und institutionalisierte Beteiligungsmöglichkeiten für die Zivilgesellschaft. Die demokratischen Entscheidungsprozesse, die Teilhabe der Bürgerinnen und Bürger und die Legitimität der politisch Verantwortlichen stehen hier im Mittelpunkt.

Indirekte Demokratieförderung hat zum Ziel, Rahmenbedingungen für eine bessere Regierungsführung zu schaffen (sog. Good Governance). Das geschieht zum einen durch die Stärkung der Kapazitäten, durch Reformen von Ministerialbürokratien oder durch den Aufbau wichtiger Institutionen (z.B. Rechnungshöfe und Polizei). Zum anderen zielt indirekte Demokratieförderung generell auf verbesserte Leistungsfähigkeit der Regierungen, Transparenz staatlicher Organe und Unterstützung von Reformen, die die Lebensbedingungen der Bevölkerung verbessern, insbesondere von marginalisierten Bevölkerungsgruppen. Viele klassische Programme der Entwicklungszusammenarbeit, etwa Alphabetisierungskampagnen, leisten indirekt einen Beitrag zur Demokratieförderung, weil sie Voraussetzungen für Teilhabe schaffen.

In der praktischen Arbeit gibt es naturgemäß Überschneidungen zwischen direkten und indirekten Aspekten der Demokratieförderung, etwa wenn zivilgesellschaftliche Gruppen dabei unterstützt werden, Strategien gegen Korruption auf staatlicher Ebene zu erarbeiten und diese öffentlich zu diskutieren.

Der Schwerpunkt der Demokratiearbeit der Heinrich-Böll-Stiftung liegt auf der direkten Demokratieförderung. Sie kooperiert dabei mit ganz unterschiedlichen Akteur/innen, vornehmlich aus der Zivilgesellschaft. In Kenia werden zum Beispiel junge Bürgerinnen und Bürger eingeladen und darin unterstützt, sich an ihre Abgeordneten zu wenden, wie das Projekt S@uti Mtaani in Kenia zeigt. Die Heinrich-Böll-Stiftung fördert die politische Teilhabe beider Geschlechter, vor allem der Frauen, wie das Engagement des Womenʼs Parliamentary Caucus in Pakistan veranschaulicht. Und sie streitet für die Rechte von Minderheiten und Menschen, die aufgrund ihrer sexuellen Orientierung und Geschlechtsidentität Diskriminierung erfahren, wie das Beispiel aus dem Südkaukasus „Mutig gegen die Mehrheit“ belegt.

Menschenrechte, Demokratie und Nachhaltigkeit – dies ist der Dreiklang, der die Arbeit der Heinrich-Böll-Stiftung national wie international prägt. Die Stärke der Heinrich-Böll-Stiftung liegt darin, die sozialen, geschlechterpolitischen und ökologischen Anliegen jeweils mit einem demokratiepolitischen Ansatz aufs Engste zu verknüpfen. „Partizipation“ und „Rechte“ sind dabei die Konstanten. Bei Themen wie Zugang zu Ressourcen, zu Land, zu Wasser oder bei sexuellen und reproduktiven Rechten geht es immer um demokratische Grundsätze, um demokratische Kontrolle, Rechenschaftspflicht oder um eine unabhängige Justiz, über die Rechte eingeklagt werden können.

Die demokratische Teilhabe von Zivilgesellschaften – und wo es möglich ist auch mit Parlamenten – zu organisieren, dieses Vorhaben durchzieht deshalb die Mehrheit der Programme der Heinrich-Böll-Stiftung. Um eine starke, unabhängige Zivilgesellschaft zu befördern, werden Partnerorganisationen auch institutionell unterstützt. Gelegentlich braucht es aber auch Räume ohne Öffentlichkeit: geschützte Räume für Akteur/innen – Orte zum Nachdenken, für Strategie und Vernetzung.

Partner/innen und Adressat/innen

Für eine erfolgreiche und langfristig wirksame Arbeit ist die Zusammenarbeit mit Partnerinnen und Partnern für die Heinrich-Böll-Stiftung ein zentrales Element. Als Gast in einem Land ist die Stiftung von der Idee geleitet, durch und mit einheimischen demokratischen Kräften auf gesellschaftliche Veränderungen und politische Diskurse wirken zu können. Wechselseitig werden Wissen, Zugänge, Einfluss, Netzwerke und Mittel geteilt, aber auch Solidarität. Sie gibt der Arbeit Legitimation, schafft politische Nachhaltigkeit und unterscheidet sich dadurch von paternalistischen Ansätzen mancher anderer externer Akteure. Partner/innen sind essentiell für die Arbeit der Heinrich-Böll-Stiftung: Sie braucht ihre Analysen zur politischen Situation und ihre Verankerung in der Gesellschaft. So ist die Partnerschaft, auf die jede Art der Kooperation der Heinrich-Böll-Stiftung beruht, ein Grundprinzip.

Die Heinrich-Böll-Stiftung arbeitet primär mit reformorientierten Personen und Gruppen aus der Zivilgesellschaft. Dazu zählen kleine Nichtregierungsorganisationen wie Nahnoo im Libanon, die für öffentlichen Raum als wichtiges Element für eine demokratische Gesellschaft streiten, Organisationen wie The Inner Circle in Kapstadt, die homosexuelle Muslim/innen unterstützt, ihren Glauben mit ihrer sexuellen Orientierung und Geschlechteridentität in Einklang zu bringen, soziale Bewegungen wie MODATIMA (Movimiento de Defensa por el Acceso al Agua, la Tierra y la Protección del Medio Ambiente) in Chile, die sich für das Recht auf Wasser einsetzen, oder Netzaktivist/innen wie die Social Media Champions der Kampagne „Follow the Money“ in Nigeria. Und natürlich gehören dazu auch Institutionen wie Think Tanks und Forschungsinstitute oder Organisation von Anwältinnen und Anwälten. Andere politische Akteurinnen und Akteure – Parlamentarier/innen, politische Parteien, Kommissionen und öffentliche Verwaltungen – werden, wo es der Zielstellung eines Vorhabens entspricht, ebenfalls in die Arbeit einbezogen. Demokratiefreundliche Eliten auf diversen politischen Handlungsebenen, etwa im Parlament, zu finden, ist oft schwierig, aber die Heinrich-Böll-Stiftung versucht häufig auch überparteilich Parlamentarier/innen zu finden, die die thematischen Anliegen, wie den Kampf gegen die Gewalt gegen Frauen oder die Förderung erneuerbarer dezentraler Energien, teilen. In einigen Fällen agiert die Heinrich-Böll-Stiftung auch als eigenständige Akteurin und arbeitet mit eigenen Formaten, Dialog- und Vernetzungsangeboten. Dazu gehören auch die Analyse aktueller politischer Entwicklungen und deren Rückvermittlung nach Deutschland.

Für eine parteinahe Stiftung liegt die Förderung von und die Kooperation mit politischen Parteien nahe. Funktionsfähige und kompetitive Parteien sind konstitutiv für Demokratien und entscheidende Institutionen der Demokratisierung. Über sie können Bürgerinnen und Bürger an der politischen Willensbildung mitwirken. Gleichzeitig ist unübersehbar, wie schwer es ist, stabile Parteien und Parteiensysteme zu etablieren, die dem Aufbau und der Konsolidierung von Demokratien tatsächlich förderlich sind. Die direkte Finanzierung von Parteien, Geldzuwendungen an Funktionäre, und die Mitwirkung an Wahlkämpfen sind für politische Stiftungen ohnehin und aus gutem Grund nicht zulässig. Es gibt aber legitime Wege, sie zu stärken, etwa über die Unterstützung einer ideologisch nahe stehenden Partei durch Qualifizierung und Beratung („partisan approach“), die Zusammenarbeit mit mehreren Parteien („multiparty approach“) oder die Unterstützung des zivilgesellschaftlichen Umfelds von Parteien („civil society approach“), um drei Ansätze zu nennen.

Für die Heinrich-Böll-Stiftung ist die Analyse der demokratischen Verhältnisse und der sie prägenden Institutionen und Akteure eine beständige Aufgabe. Als parteinahe Stiftung muss sie sich immer wieder der (ambivalenten) Rolle politischer Parteien bei Aufbau und Festigung von Demokratie stellen und sich fragen, welche Strategien und Ansätze die Stiftung bei der Parteienförderung und -kooperation verfolgen kann und will. Denn in der Realität sind die Möglichkeiten für die Heinrich-Böll-Stiftung oft begrenzt. So setzt die Förderung im Rahmen des sogenannten „partisan approach“ voraus, dass es eine „Schwesterpartei“ gibt, die gesellschaftliche Verankerung genießt, innerparteilich demokratisch organisiert ist und die gesellschaftspolitischen Vorstellungen und Werte der Stiftung teilt. Dies ist – zumal außerhalb Europas – selten der Fall. Doch eröffnen sich an anderen Stellen Möglichkeiten. Die Stärkung und Vernetzung grüner Bewegungen und Parteien in Mittel- und Osteuropa ist z.B. ein zentrales Anliegen des Prager Büros der Heinrich-Böll-Stiftung. In Zusammenarbeit mit der Green European Foundation (GEF) und der tschechischen Green Academy (Zelená akademie) finden gemeinsame Veranstaltungen und Seminare statt, die grüne Akteur/innen und Themen in der Region sichtbar machen. In Pakistan unterstützt die Heinrich-Böll-Stiftung den Womenʼs Parliamentary Caucus, ein informelle Gruppe weiblicher Abgeordnete, die über Parteigrenzen und Positionen hinweg zu genderrelevanten Themen einen Konsens sucht und für die Beteiligung von Frauen an rechtlichen und politischen Entscheidungen eintritt. Dort, wo die Heinrich-Böll-Stiftung punktuell mit Parteien und Parlamentarier/innen kooperieren kann, werden also unterschiedliche Zugänge identifiziert.

Als politische Stiftung ist die Heinrich-Böll-Stiftung so oft auch Scharnier und Grenzgängerin zwischen Zivilgesellschaft, Partei und Parlament. Sie kann in Bereichen arbeiten, die der staatlichen Kooperation verschlossen bleiben. Und umgekehrt kann die Stiftung eine Brücke von der Gesellschaft in die Politik sein und in den politischen Raum vermitteln. Das wird von den kooperierenden Partnerinnen und Partnern sehr geschätzt.

Die Mühen der Ebenen

Politische Prozesse auf lokaler, nationaler und internationaler Ebene greifen mehr denn je ineinander und erzeugen Wechselwirkungen. Klimawandel ist lokal und internationale Klimapolitik wirkt lokal. Zwischenstaatliche Handelsabkommen können lokale Märkte negativ beeinflussen. Internationale rechtliche Rahmenbedingungen wie die Konvention zur Beseitigung jeder Form von Diskriminierung der Frau (CEDAW) treffen auf nationale Gesetzgebungen und Realitäten. Und nicht selten klaffen in jungen Demokratien die nationale und hauptstadtzentrierte Politik und die der ländlicheren Regionen weit auseinander.

Die Kunst liegt darin, Verbindungen zwischen diesen Ebenen herauszustellen und die Wechselwirkungen von politischen Prozessen in den Blick zu nehmen. Die Heinrich-Böll-Stiftung tut genau dies und versucht – wo immer es politisch sinnvoll und möglich ist – den Austausch zwischen den Akteuren und die Bildung von Allianzen zu fördern. Dies ist der Heinrich-Böll-Stiftung vor allem in der ressourcen- und klimapolitischen Arbeit und bei der geschlechterpolitischen Arbeit gut gelungen (siehe dazu das Kapitel „Ohne Grenzen. Globale Mitsprache der Zivilgesellschaft“ auf der Seite 110ff.). In den vielen Fällen, wo die Heinrich-Böll-Stiftung auf der lokalen und nationalen Ebene und weniger auf der internationalen Ebene arbeitet, weil es kein internationales Politikfeld ist oder internationale Prozesse wie in Friedensverhandlungen kaum zugängig sind und nicht beeinflusst werden können, nimmt sie die relevanten internationalen Prozesse und Entwicklungen in den Blick und stellt den Rückbezug für die nationale und lokale Ebene her.

Entscheidend sind stets und überall die politischen Rahmenbedingungen. Sie prägen die Handlungsspielräume und mehr denn je die Partner/innen und Zielgruppen. In einigen Ländern ist das eine Gratwanderung. Der Einsatz für Demokratie und Demokratisierung der Stiftung ist eine Einmischung und Infragestellung politischer Machtverhältnisse. Das ist der Heinrich-Böll-Stiftung und ihren Partner/innen bewusst und immer mit ihnen abgestimmt. Für viele Regierungen ist genau das Anlass, Partner/ innen und die Arbeit der Stiftung zu delegitimieren. Dies ist vor allem, aber nicht nur in Ländern mit autoritären und semi-autoritären Regimen der Fall. Die Kunst liegt dann darin, behutsam demokratische Wirkung zu entfalten – ohne Partner/innen und Kolleg/innen im Land zu gefährden.

Ein Beitrag aus der Publikation "Für Demokratie. Vom Engagement der Heinrich-Böll-Stiftung in der Welt".